JULIA GROSSE ÜBER TRENDS UND DEMUTDIE BANK, DEIN LEBENSRETTER : Ein stechend blaues Flüsschen der Sicherheit
TRENDS UND DEMUT
Kürzlich stieg ich auf mein altes Rad. Keine leichte Entscheidung, denn sich gemeinsam mit Londons Autofahrern auf einer Ebene im Straßenverkehr zu bewegen ist ein freiwilliger Sturz ins Darwin’sche Hierarchiesystem: auf dem Zweirad schrumpft man für Pkw-Fahrer zum störenden Insekt, das sie mit ihren PS am liebsten zerquetschen würden.
Doch nun ist auf den Straßen Londons etwas Wundersames passiert. Eine stechend blaue Spur zieht sich am Rand entlang. Nur für Radler, ein Flüsschen der Sicherheit, Zen für die stets unter Spannung stehenden Waden, eine Miniatmosphäre, die kein noch so testosterongetriebener Taxifahrer berühren darf.
Ich habe lange über die Wahl der Farbe nachgedacht. Warum pinselt die Stadt eine derart lebenswichtige Zone in knalligem Blau? Als Symbol steht Blau für Vertrauen und Ganzheitlichkeit. Rein ästhetisch macht die Wahl allerdings tendenziell das Straßenbild kaputt, und genau das las ich als selbstbewusste Kampfansage der Stadt an die Autos. Leben retten vor Ästhetik!
Mein neu gewonnenes Vertrauen in die blaue, beschützende Route wurde jedoch jäh enttäuscht, als ich erfuhr, was beziehungsweise wer tatsächlich hinter diesem Blau steckt: die Barclays Bank! Ich fuhr also nicht aus psychologischen Gründen auf diesem Blau, sondern aus wirtschaftlichen! Ausgerechnet eine Bank ist ab sofort für meine Verkehrssicherheit verantwortlich. Der Name des neuen Radwegs klingt wie in heißen Asphalt gegossene Hybris: Barclays Superhighway!
Leidet die Stadt an dermaßen notorischem an Geldmangel, dass sie sich von einem Kreditunternehmen nun schon die Straßen bezahlen lassen muss? Sponsert Mercedes demnächst die Blitzanlagen? Was für ein Glück, dass nicht die Telekom in die engere Wahl gezogen wurde. Pinkfarbene Radwege! Tatsächlich ist London voll von bizarren Kooperationen. Wer ahnt schon, dass hinter der Unilever Series, also den jährlich wechselnden Kunstinstallationen in der Turbinenhalle der Tate Modern (am berühmtesten Olafur Eliassons „Weather Project“ mit 3 Millionen Besuchern) ein Waschmittelkonzern steckt? Die winterliche Kulturveranstaltung der Royal Academy, GSK Contemporary, klang nur deshalb so hölzern, weil der Pharmariese GlaxoSmithKline eine Menge Geld gezahlt hat, um vor die Veranstaltung sein schmuckloses Kürzel zu pappen. Es ist ein eleganter Deal, bei dem ein unattraktiver Konzern seine gutmenschelnde Seite zeigen kann. Institutionen müssen im Gegenzug nicht mehr knausern, wenn es um die Champagnermarke beim Empfang geht. Und wer rechnet schon damit, dass irgendwo am anderen Ende der Welt Öl ausläuft und damit eine globale Umweltkatastrophe auslöst? Dass die Tate Gallery dennoch keinen Funken Gespür dafür hatte, was es heißt, ihre 20-jährige Kooperation mit BP mit einem rauschenden Sommerfest zu feiern, wurde grandios bestraft. Am Ende gab es aufgebrachte Demonstranten und ölbespritzte Gäste, die über ihre versauten Armani-Sakkos und Dior-Taschen jammerten. Und was passiert, wenn Barclays in den nächsten, globalen Finanzskandal verwickelt ist? Liegen dann Nägel auf der neuen, blauen Radfahrbahn?
■ Julia Grosse ist Kulturreporterin der taz in London