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Archiv-Artikel

Oh, mein Gott, er sitzt fest

P wie Plattenbau: Wolfgang Petersens katastrophaler Katastrophenfilm „Poseidon“

Schon mit dem ersten Bild ist alles verloren, denn das Logo „P“ steht für Plattenbau, den schwimmenden, und der ist voll digitalisiert. Der Computer bringt es fertig, das Schiff so rasant zu umkreisen, wie es die Kamera nicht könnte, und so wissen wir, dass wir in einem Computerspiel sind, aber in einem interpassiven. Wir können nichts tun und müssen uns langweilen. Gut, es gibt zwischendurch Schauspiel im Studio, TV-Ware. Ob die Stunts echt sind oder Computerleistung – wen interessiert’s? Der Filmverleih wirbt mit dem Satz: „Überall Leichen – aber sie sind nicht echt.“ Wie wahr! Machen wir’s kürzer: „Poseidon“ ist nicht echt.

Wolfgang Petersen („Das Boot“ im Genre Kriegsfilm) hat mit den letzten fünf Filmen anderthalb Milliarden Dollar gemacht. Daher nun die Neuverfilmung der alten „Höllenfahrt der Poseidon“ von 1972. Genre: Katastrophenfilm. Das Schiff kentert. Ein Grüppchen schlauer Passagiere arbeitet sich nach oben zum Bugpropeller vor. Dort ist bekanntlich ein Notausgang. Er wird benutzt. Ein leeres Rettungsboot treibt heran. Der Hubschrauber kommt. Winke, winke. Ende.

Vom ersten „Poseidon“-Film erinnern wir, dass er spannend war. Warum davon jetzt keine Spur ist, mag an dem Dauerschwall dümmlicher Dialoge liegen. Die Grenze zur Zuschauerverarschung ist überschritten. „Auch wenn es eine Schnittwunde ist, sollte sie gesäubert werden.“ Man sieht eine Treppe und hört: „Der Weg geht nach oben.“ Einer sitzt fest und sagt: „Ich sitz fest“, daraufhin die anderen: „Oh, mein Gott, er sitzt fest.“ Man sieht das Wasser schnell ansteigen und hört: „Wir müssen uns beeilen, das Wasser steigt schnell.“ – Um auch nur die geringste Pause im Dauergebrabbel zu vermeiden, werden Zuschauerbelehrungen zum Besten gegeben. Wussten Sie, daß eine Feuerwalze für den Menschen gefährlich sein kann und warum? „Die Lungen brennen dann wie Reispapier.“ Aber weiß jemand, wie Reispapier brennt? Äh –

Und nun zur Frage, warum die Pyrotechnik im schwimmenden Plattenbau das Sagen hat. Sollte die Wasserkatastrophe etwa für eine Hochhauskatastrophe herhalten, die traumatisch noch nicht abgearbeitet ist? Die ersten Godzilla-Katastrophen standen bekanntlich für die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Vertreten die Explosionen und Feuerwalzen in der „Poseidon“ jetzt die Katastrophen der Twin Towers? Man könnte nachdenklich werden, wenn der Held und Retter des Trupps, der den Notausgang findet, als „Bürgermeister in New York“ vorgestellt wird und außerdem heldenhafter Feuerwehrmann ist, weil er weiß, dass man sich eines Sprungtuches bedient, um einen, der springen muss, zu retten. „Ich war bei der Feuerwehr, verhalten Sie sich bitte ruhig, alles wird gut.“

Gut, der zäsursetzende Terroranschlag, auf den der Film anspielt, vergrößert nur die einzige echte Katastrophe, und die ist die des Films selbst. Ich entschuldige mich daher bei Godzilla für den mehr als unpassenden Vergleich. Denn Godzilla ist ein göttliches Wesen und kein filmisches Desaster. Die Filmkatastrophe des Ostfriesen Petersen mag allenfalls in Emden tiefe Betroffenheit auslösen, auch in Hollywood, aber das war’s auch.

DIETRICH KUHLBRODT

„Poseidon“. Regie: Wolfgang Petersen. Mit Richard Dreyfuss, Kurt Russell u. a., USA 2006, 99 Min.