: Es lag ihnen im Blut
HARDCORE-PUNK Unveröffentlichte Studioaufnahmen zeigen das kalifornische Quintett Bl’ast als gitarrenlastige Experimentalband
Spulen wir mal 30 Jahre zurück. Und treten einen transatlantischen Flug an. Wir landen in folgender Konstellation in den USA: Ronald Reagan ist drei Jahre im Amt, religiöse Fundamentalisten und TV-Prediger sind im Aufwind. Das nukleare Wettrüsten gegen die Sowjets geht weiter. Die Arbeitslosigkeit steigt, ein Ende der Bankenkrise ist nicht in Sicht. Da hilft es wenig, dass Michael Jackson den Moonwalk tanzt. So in etwa das Bild der Supermacht USA im Jahr 1984.
Was das mit der kalifornischen Band Bl’ast zu tun hat? Eine ganze Menge. Das Quintett gründete sich in jenem Jahr. Und hört man dem klassischen Hardcorepunk, wie er von Bands wie Black Flag oder System Society Decontrol (SSD) und eben Bl’ast gespielt wurde zu, so glaubt man in jedem wütend hingeschissenen Gitarrenriff auch ein bisschen von dieser einschnürenden Atmosphäre zu spüren.
Noch dringlicher
Bl’ast aus Santa Cruz haben – im Gegensatz zu den Kollegen Black Flag – nie den ganz großen Bekanntheitsgrad erreicht. Zwar veröffentlichten sie mit dem Album „The Power of Expression“ (1986) einen oktanhaltigen Genre-Klassiker, aber sie blieben nach der erstmaligen Auflösung 1991 nicht so recht im kollektiven Punkgedächtnis haften. Das muss jüngst auch Foo-Fighters-Mastermind Dave Grohl aufgestoßen sein. Denn er war es, der einige unbearbeitete Bl’ast-Aufnahmen von der Studiosession zum Album „It’s in my blood“ (1987) ausgegraben hat, um sie in einer remasterten Version unter dem Titel „Blood“ neu zu veröffentlichen. Mit der Retromania hat das ganz offensichtlich wenig zu tun. Viel mehr merkt man beim Anhören, was knackige Technik aus ohnehin schon kraftvollen Stücken herauskitzeln kann: Nun klingen die Songs noch um einiges dringlicher.
Diese Dringlichkeit zeigt sich von den ersten Akkorden an, etwa bei der Gitarrenarbeit in „Only time will tell“: Erst verharrt der Sound noisig-klimpernd im Ungefähren, dann steigern sich die Anschläge, der Sound wird wuchtiger, bis Gitarrist Mike Neider beim Moshpart schließlich höchst rhythmisch zu Werke geht. Dazu grummelt Frontmann Clifford Dinsmore: „Now the day has come / I hope I’ll never see / The world begins to burn / I fall down to my knees.“
Man muss sich Dinsmore – übrigens ein fanatischer Surfer – dazu auf Knien rutschend vorstellen. Er winselt, als würde er gleich unter einem Wellenbrecher begraben sein. Bl’ast hinterlassen nicht nur schön mitgrölbare Songs, derer sich unzählige andere Hardcorebands bedient haben („It’s in my blood“, „Can’t close my eyes“, „Open up your eyes and see“), sondern sie waren deshalb so gut, weil sie Punk weiterentwickelten und in Richtung Noise und Metal öffneten. So ebneten sie mit einigen anderen Bands den Weg für den kaputten Rocksound des Labels Amphetamine Reptile oder auch für den Noiserock der frühen Neunziger.
Das Label des Black-Flag-Gitarristen Greg Ginn, SST Records, war dabei wichtig für alle späteren Strömungen, die sich aus Hardcorepunk entwickelten. Auch Bl’ast veröffentlichten bei SST, genau wie Hüsker Dü, Sonic Youth oder die Minutemen. Wie sich die notwendigen neuen Impulse von Bl’ast anhörten? Der Gesang, nunmehr geshoutet und kehlig, klang wütender als zuvor, die schnellen, frickligen, manchmal auch übersteuerten Bassläufe ließen die Hörer kaum stillhalten, und die Texte griffen meist die herrschende christlich-fundamentalistische Moral und die Zuspitzung des Kalten Kriegs unter Reagan frontal an. „It’s time to react / Or accept the fact / That you’re gonna die“, heißt es bei Bl’ast etwa im titelgebenden Stück „It’s in my blood“.
Lärm und Feedback
„Jeder hatte einen Bl’ast-Sticker unter seinem Skateboard“, erinnert sich Dave Grohl heute. Live, so Grohl, hätten Bl’ast dabei noch weitaus deutlicher die ausgetretenen Punk-Pfade verlassen und auf der Bühne experimentiert: „Sie waren die lauteste und härteste Band, die ich bis dato gesehen hatte, es war nur Noise und Feedback – total krank.“ Zum Erscheinen des Albums haben sich Frontmann Clifford Dinsmore und Gitarrist Mike Neider wieder zusammengetan – in den USA geben Bl’ast wieder Konzerte (neben den beiden spielte zum Zeitpunkt der Aufnahmen übrigens auch William DuVall in der Band, der später als Sänger der Metalband Alice In Chains Karriere machte). Um den subversiven Punksound der achtziger Jahre Revue passieren zu lassen, hört man sich aber besser diese vorbildliche Wiederveröffentlichung an. JENS UTHOFF
■ Bl’ast: „Blood“ (Sacred Bones/Cargo)