piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Chef-Adlatus

Nun fragen sich alle: Kann das der Jogi überhaupt? Ist der gelernte Assistent mit der neuen Führungsrolle nicht überfordert?

VON MARKUS VÖLKER

Die TFK hatte leichtes Spiel. Die Trainerfindungskommission, vor zwei Jahren noch wochenlang irrlichternd unterwegs, berief kurzerhand Joachim Löw, den Internen. Der nette Herr Löw ist neuer Bundestrainer. TFK-Mitglied Jürgen Klinsmann, der wegen eines „Burn-outs“ seinen Posten als Nationalheiliger aufgibt, sagte gestern: „Ich habe viel vom Jogi gelernt, das steht außer Frage.“ Der Jogi müsse es aber nun allein machen. Der Ergänzungstrainer ist aufgerückt auf den Chefposten. „Das ist eine Verantwortungsübergabe“, sagte Klinsmann mit bitterem Lächeln, „ich habe einfach nicht mehr die Kraft für das nächste Länderspiel in vier Wochen gegen Schweden.“ Erholen müsse er sich nun, „leer“ sei er. Löw hat offenbar noch genug Reserven, um einen der aufreibendsten Jobs anzunehmen, den die Republik zu bieten hat. Er wolle die Berufung zum Bundestrainer als Herausforderung angehen, versprach der 46-Jährige. Jetzt fragt sich alle Welt: Kann das der Jogi überhaupt? Ist der gelernte Assistent mit dieser Rolle nicht überfordert? Was wird aus dem entrümpelten Laden Nationalmannschaft? Und: Gewinnt die alte Garde des Deutschen Fußball-Bundes wieder mehr Einfluss?

Löw soll Klinsmanns gewichtiges Erbe antreten. Er will 2008 Europameister werden, wie er selbst verkündete. Ihm zur Seite steht weiterhin Oliver Bierhoff, der bisweilen gallige Manager. Die Fitnesstrainer aus den USA, der Chefscout aus der Schweiz und der Teampsychologe sollen ebenfalls in der Post-Klinsmann-Ära weitermachen. Man könnte sagen: Alles wie gehabt, wenn das Triumvirat nicht seinen großen Charismatiker verloren hätte, Klinsmann, der nach einer Einschätzung von DFB-Präsident Theo Zwanziger „eckig“ war, „etwas spaltend, aber immer erfolgsorientiert“. Aber können die Jünger ihren Meister überhaupt würdig vertreten? Vor allem: Können sie das neoliberale Projekt, den DFB fit für die Moderne zu machen, erfolgreich fortführen? Mit legendärem Dickkopf hat der „Projektleiter“ Klinsmann neue Strukturen in der Nationalelf geschaffen, die Löw und Bierhoff nun ausbauen müssen, damit sie dem Druck der Altvordern standhalten.

Die verbliebenen zwei könnten damit Schwierigkeiten haben. Bierhoff wirkt in kniffligen Situationen oft unsouverän, die Rolle des Wadenbeißers steht ihm nicht. Und Löw ist weder eckig, noch spaltet er eine Gruppe in verfeindete Lager. Er gilt als Teamplayer, wird von der Mannschaft gemocht, möchte nicht restriktiv wirken, sondern seine „natürliche Autorität“ ausspielen. Er ist der konstruktive Partner der Profis, charakterlich eher ein Antipode zu Klinsmann. „Wir müssen ihm die Chance lassen, das Ganze auf seine Art weiterzuführen“, warb Bierhoff für den neuen Bundestrainer. „Der Strahl der Kritik, der hat bisher um mich eine Kurve gemacht“, sagte Löw gestern. Ab jetzt trifft ihn der Strahl frontal. Da ist kein Klinsmann mehr, der die Wucht der Angriffe eines Franz Beckenbauer oder DFB-Gerontokraten mildert, die immerhin den verbandsinternen Machtkampf gegen die Reformer um Klinsmann gewannen, als sie letzten Februar den Fußballer Matthias Sammer als Sportdirektor installierten und nicht den von Klinsmann präferierten Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters. Wie labil oder robust das Duo Löw&Bierhoff ist, wird sich zeigen, wenn das Nationalteam im Alltag der EM-Qualifikation Spiele verliert und nicht jenen offensiven Fußball spielt, der nun auch vom DFB-Präsidium ständig annonciert wird.

Löw fühlt sich der Aufgabe trotzdem gewachsen. Doch die ersten Zweifel wurden bereits in der gestrigen DFB-Pressekonferenz angemeldet, wenn auch implizit. Oliver Bierhoff referierte lang und breit die Vorzüge des „Cheftrainers“ Löw, der den VfB Stuttgart seinerzeit zum DFB-Pokalsieg geführt habe und Fenerbahce Istanbul auf Platz zwei der türkischen Tabelle. Unerwähnt blieben die unglücklichen Engagements des Jogi Löw, der beim VfB nach allen Regeln der Kunst demontiert wurde (u. a. von Gerhard Mayer-Vorfelder) und auch bei Austria Wien vorzeitig gehen musste. Mit dem Karlsruher SC hatte Löw in 18 Spielen nur einmal gewinnen können; der Verein stieg ab in Liga drei.

An der Spitze der deutschen Nationalmannschaft steht also wieder kein international renommierter Coach. Auf den Trainernovizen Klinsmann ist ein Übungsleiter gefolgt, der noch sein Profil sucht. Das heißt nicht, dass Löw ein Mann ohne Eigenschaften ist. Seine taktischen Kenntnisse und Führungsqualitäten sind anerkannt, nicht nur bei den Spielern. Trotzdem muss sich Löw erst noch beweisen in den kommenden zwei Jahren, der Laufzeit seines Vertrages.