piwik no script img

Archiv-Artikel

Griechischer Tran

HIPPEN empfiehlt In „Kleine Wunder in Athen“ von Filippos Tsitos muss ein fremdenfeindlicher Kioskbesitzer feststellen, dass er selber einer der verhassten Albaner ist

Diese Geschichte kann man nur in Nuancen erzählen, und dies gelingt Tsitos, denn er kennt das Milieu und die Gemütslage seiner Protagonisten

VON WILFRIED HIPPEN

Als der unbestrittene Meister der Lethargie galt bislang Aki Kaurismäki. Aber dessen Filme wirken hektisch und aktionsreich im Vergleich zu dieser Komödie aus Griechenland, deren Zentrum ein Straßenkiosk bildet, in dem nie etwas verkauft wird. Die einzige Aktivität des Besitzers Stavros scheint darin zu bestehen, dass er morgens die Stühle für sich und seine drei Freunde auf die Straße vor dem Laden stellt, und dort sitzen sie dann den lieben langen Tag – und tun nichts außer reden. Sie ziehen über Gott und die Welt her, am liebsten natürlich über die Ausländer.

Nach dem ewigen Gesetz, dass für Ressentiments immer die schwächeren Nachbarn herhalten müssen, hacken die Griechen am liebsten auf den Albanern herum. Die Chinesen, die mit viel Energie direkt gegenüber ein neues Geschäft einrichten, werden dagegen mit missmutigem Respekt angesehen, aber über die ärmlichen Albaner lässt sich wunderschön lästern.

Und Stavros scheint diese billige Bestätigung des eigenen Nationalstolzes auch bitter nötig zu haben. Seine Frau hat ihn schon vor langer Zeit verlassen und er muss sich um seine Mutter kümmern, die nach einem Schlaganfall verwirrt ist. Trotz seines Phlegmas ist Stavros ruhelos – er kann nicht schlafen, grübelt nachts auf dem Balkon über sein Leben nach und hört dabei Rockmusik aus den 70er Jahren. All das ändert sich, als Stavros’ Mutter plötzlich auf der Straße in einem albanischen Gelegenheitsarbeiter einen lange verlorenen Sohn zu erkennen glaubt. Plötzlich scheint sie völlig klar, kann fließend albanisch sprechen und stürzt Stavros in eine noch tiefere Krise, denn dieser hat von einer albanischen Vergangenheit seiner Mutter nichts gewusst und muss sich daran gewöhnen, dass er selber vielleicht einer von den verhassten Fremden ist.

Solch eine Geschichte kann man nur in Nuancen erzählen, und genau dies ist die große Stärke von Filippos Tsitos. Er kennt genau das Milieu und die Gemütslage seiner Protagonisten, und so gelingen ihm Dialoge, die zugleich pointiert und absolut authentisch klingen. Und er weiß um die komischen Möglichkeiten der Wiederholungen. So ist zum Beispiel jene Szene, in der Stavros nachts auf seinem Moped zu seiner geschiedenen Frau fährt, und auf den Stufen vor dem Eingang mit ihr redet, während ihr neuer Freund über die Haussprechanlage gereizt verlangt, sie solle sofort hochkommen, schon beim ersten Mal witzig. Aber bei zweiten und dritten Mal wird die gleiche Situation noch absurder ausgespielt, und diese Steigerung arrangiert Tsitos so geschickt, dass man im Laufe des Films gerade auf die nur scheinbar unspektakulären rituellen Wiederholungen achtet.

Den Film trägt jedoch Antonis Kafetzopoulos, der in der Rolle des Stavros ja im Grunde kaum etwas zu tun bekommt. Um so erstaunlicher ist es, wie lebendig er diesen Trauerkloß werden lässt. Der schlurfende Gang, der resignierte Blick, die hängenden Schultern, das genervte Einatmen – daraus besteht die Palette, mit der er die gekränkte Männlichkeit, die lähmende Depression und alles vergiftende Unzufriedenheit dieses 50-jährigen Griechen so eindrucksvoll zeichnete, dass er dafür den Darstellerpreis bei den Filmfestspielen von Locarno gewann.

Natürlich zeichnet Tsitos hier auch ein bissig-satirisches Bild vom heutige Griechenland in der Krise. Davon zeugt auch die böse Ironie des Originaltitels „Akadimia Platonos“, also „Platons Akademie“.

Aber ein deutsches Publikum kann sich hier nicht bequem die eigenen Vorurteile bestätigen lassen, denn was den Griechen die Albaner, sind den Europäern gerade die Griechen.