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Archiv-Artikel

Krieg an zwei Fronten

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Gut zwei Wochen nach der Entführung des israelischen Gefreiten Gilad Shalit im südlichen Gaza-Streifen eskaliert die Gewalt an zweiter Front. Die libanesische Hisbollah griff gestern mehrere entlang der Grenze patrouillierende israelische Jeeps an und entführte zwei israelische Soldaten. „Dies ist kein Terrorattentat“, so Israels Regierungschef Ehud Olmert, sondern die „Aktion eines souveränen Staates, der Israel ohne Grund angreift“.

Olmert machte die Regierung in Beirut für das Schicksal der beiden entführten Soldaten verantwortlich und befahl Bodentruppen und Luftwaffe den Angriff auf Libanon. Außerdem wurden 6.000 Reservisten an die libanesische Grenze beordert. Am Nachmittag bestätigte die israelische Armee, dass die Hisbollah sieben Soldaten getötet hat.

Nur kurze Zeit nach der gelungenen Entführung begann die Hisbollah-eigene Fernsehstation Al-Manar bereits mit der Übertragung von Aufrufen an Israel, die Geiseln gegen libanesische Häftlinge auszutauschen. Möglich sei ein „Pakethandel“, bei dem auch Gilad Shalit und palästinensische Häftlinge Berücksichtigung fänden. Olmert zeigte sich hartnäckig: „Wir werden den Terroristen nicht nachgeben“, sagte er und schloss einen Handel aus, „auch wenn es um das Leben eines Soldaten geht.“

„Der begrenzte Kampf“ im Gaza-Streifen kann sich, so der militärische Analyst Amos Harel von der liberalen Ha’aretz in der gestrigen Online-Ausgabe, zu einem „offenen Krieg an zwei Fronten auswachsen“. Harel vergleicht die Situation mit dem Frühjahr 2002, als die israelische Armee parallel zu der Großoffensive im Westjordanland mit Angriffen der Hisbollah konfrontiert wurde. Durch die Entführung dreier Soldaten sei die Lage diesmal zusätzlich kompliziert. Sollten die Geiseln nicht gesund wieder auf freien Fuß kommen, dann, so beruft sich Harel auf „hohe Regierungsbeamte“, werde die „libanesische Infrastruktur (durch israelische Bombardierungen) um 20, vielleicht sogar 50 Jahre zurückversetzt“.

Politiker vor allem aus dem rechten Spektrum riefen schon jetzt zu harten Maßnahmen auf. „Wir befinden uns in einem Krieg“, meinte der Vorsitzende der National-Religiösen Partei, Effi Eitam. Nach Ansicht Eitams gelte es nun, die „libanesische Infrastruktur zu zerstören“. Dem ehemaligen israelischen Außenminister Silvan Schalom (Likud) reicht die Offensive im Libanon längst nicht aus. Ginge es nach ihm, würde die israelische Armee „nach Gaza, nach Beirut und nach Damaskus“ ziehen. Die syrische Regierung unterstützt die Hisbollah, indem sie die aus Teheran kommenden Waffenlieferungen an die schiitischen Kämpfer weiterleitet.

Im Gaza-Streifen starben unterdessen erneut neun Palästinenser bei einem israelischen Luftangriff. Mehr als 20 wurden verletzt, darunter offenbar auch Mohammad Deif, der seit Jahren von Israel meistgesuchte Terrorist. Die Armee dringt seit Dienstag tiefer ins Zentrum vor. Gestern Früh waren Flugblätter verteilt worden, in denen die Bevölkerung aufgerufen wird, sich von den Angriffsbereichen fern zu halten. Ziel der Operation sei, so wird in dem Flugblatt erklärt, „den Aufenthaltsort unseres entführten Soldaten Gilad Shalit ausfindig zu machen“. Die neun Todesopfer, die in ihrer Wohnung von dem Angriff überrascht wurden, gehörten einer Familie an.