: Logik der Abgrenzung
Die Aufregung der polnischen Regierung über eine taz-Satire folgt einem klaren Kalkül: Jede Gelegenheit ist ihr recht, zwischenstaatliche Differenzen ins Monströse aufzublasen
Gut, man kann die Reaktion der polnischen Regierung auf die Veröffentlichung der Kaczyński-Satire in der taz als Ausraster nehmen, als dem Anlass vollkommen unangemessen. Sicher, aber dann würde man das politische Kalkül verfehlen, das hinter dieser monströsen Demonstration gekränkter Ehre steht. Denn von Anfang an versuchten die Kaczyńskis und die ihnen ergebenen Medien, die Auseinandersetzung um die Satire auf die zwischenstaatliche Ebene zu ziehen, sie in einen politischen Konflikt zwischen Polen und Deutschen umzudeuten.
Anders sind die jüngsten politischen Manöver nicht zu verstehen. Sie reichen von der Aufforderung an die deutsche Regierung, sich von dem taz-Artikel zu distanzieren, über den Boykott des Weimarer-Dreieck-Treffens bis zu der jüngsten Äußerung Kaczyńskis, es sei jetzt an der deutschen Regierung, Schritte der Verständigung zu unternehmen. Hinter dieser Logik der Abgrenzung wird der Versuch sichtbar, alte, mit der Integration Polens in die EU überwunden geglaubte Bedrohungsängste wiederzubeleben – mit dem Ziel, die Bevölkerung für das Ziel der nationalen Erneuerung, für die „Vierte Republik“ zu begeistern.
Es bedarf keiner großen Anstrengung, um für unsere Zeitung nachzuweisen, dass der Vorwurf der Polenfeindlickeit vollständig absurd ist. Seit den Tagen der Gründung von Solidarność 1980 ist die taz konsequent für die polnische Freiheitsbewegung eingetreten, hat mit Sympathie und Anteilnahme den Weg des neuen Polen nach 1990 verfolgt und ist für die berechtigten Positionen Polens auch gegenüber „unserer“ Regierung eingetreten. Worum es in der taz-Satire und auch in den zahlreichen kritischen Artikeln zu den Kaczyński-Brüdern in unserer Zeitung ging, war die sehr konkrete, sehr handfeste Politik der gegenwärtigen Regierung.
Für viele demokratische, für die Menschenrechte empfindsame Leute in der Bundesrepublik konzentrierte sich die Weltsicht der Kaczyński-Brüder in deren Haltung zur Homosexualität. Der Auftritt des Präsidenten Lech Kaczyński in der Berliner Humboldt-Universität in diesem Frühjahr hat hier vieler Augen geöffnet. Völlig umwillig, die demokratische Dimension zu begreifen, die mit dem Recht auf Teilhabe an der öffentlichen Sphäre für Schwule und Lesben verbunden ist, erging sich der polnische Präsident in bevölkerungspolitischen Plattitüden wie der, eine Nation sei zum Untergang verurteilt, wenn alle homosexuell würden.
Mit der Aufnahme der populistischen Bauernkrawallpartei „Samoobrona“ und der klerikal-rechtsextremen, antisemitischen „Liga der polnischen Familien“ in die Regierung hat sich diese Haltung weiter zugespitzt. Offen faschistische Brandreden seitens der „Liga“ gegen Schwule im Vorfeld der diesjährigen Warschauer Gleichheitsparade fanden nicht einmal den milden Tadel der Kaczyński-Brüder.
Ist der Angriff auf ein ausländisches Staatsoberhaupt mittels Satire gerechtfertigt – besonders, wenn es sich um ein polnisches Staatsoberhaupt handelt und die Satire in einer deutschen Zeitung steht? Seine Bedenken hier anzusiedeln bedeutet nichts anderes, als das Spiel der polnischen nationalistischen Rechten mitzuspielen. In Frage steht, wie sich nicht nur die polnische, sondern die europäische Öffentlichkeit zu einer Regierung verhält, die auf breiter Front die Errungenschaften der polnischen Demokratie zu zerstören trachtet.
Dass ein Staatsoberhaupt nicht zum Gegenstand einer Satire gemacht werden kann, entspringt keineswegs den Grundsätzen einer republikanischen Achtung vor demokratischen Institutionen, wie manche polnische Kommentatoren meinen. Denn die Achtung gilt dem Amt des Präsidenten, nicht aber jeder politischen Äußerung des Amtsinhabers.
Die Kritik an der Politik der Kaczyński-Brüder, auch die mit den Mitteln der Satire vorgetragene, ist kein Spezifikum des polnisch-deutschen Verhältnisses. Sie ist, wie im Fall der Regierungsbeteiligung Haiders in Österreich, eine internationale Angelegenheit. Hier zeigt sich, wie in Ansätzen, quasi „im Vorgriff“ (Jürgen Habermas) europäische Öffentlichkeit hergestellt wird. Die Internationalisierung der diesjährigen „Gleichheitsparade“ in Warschau bietet hierfür ein gutes Beispiel.
Die Kaczyński-Brüder sind angetreten, um mit einer ganzen Epoche – der zwischen 1989 und 2005 – samt deren liberalen und individualistischen Grundlagen abzurechnen. Zu ihrer Ideologie gehörte auch der Angriff auf die extreme soziale Ungleichheit im Gefolge des Übergangs zu Markt und Demokratie sowie das Versprechen, gegen die Massenarmut vorzugehen. In dieser Hinsicht nahmen sie das Banner der sozialen Gerechtigkeit auf, das die vorher regierenden Wendesozialisten mit ihrer neoliberalen Politik weggeworfen hatten.
Aber dieser Demagogie sind bislang keinerlei Taten gefolgt. Statt sozialer Verbesserungen soll den Wendeverlierern ein kompensatorisches Schauspiel geboten werden: der starke Staat im Kampf gegen Korruption, gegen Werteverfall und den verderblichen Einfluss westlicher Relativisten, nicht zu vergessen die Verfolgung der ehemaligen kommunistischen Nomenklatura, die sich nach 1989 in den neuen Verhältnissen eingenistet habe. Bislang hat sich der „starke Staat“ in Gleichschaltungsversuchen an den öffentlichen Medien gezeigt, im Projekt, die Unabhängigkeit der Staatsbank aufzuheben, in der Stärkung der Sicherheitsorgane – und in dem guten alten Nepotismus, den zu besiegen man doch ausgezogen war.
In allem aber soll, gegenüber den drohenden Souveränitätseinbußen durch die EU, die Staatsnation an erster Stelle stehen: die Nation, die verteidigt werden muss. Dazu gehört die Wiederbelebung der alten Angst, zwischen Russland und Deutschland eingeklemmt zu werden – eine Angst, die heute, im Gegensatz zur Vergangenheit, irreale Züge trägt. Aus diesem Grund sind die Kaczyński-Brüder an einer Vertiefung des Verhältnisses zu Deutschland nicht interessiert, im Gegenteil: Jede Gelegenheit ist ihnen recht, zwischenstaatliche Differenzen ins Monströse aufzublasen wie im Fall der Ostsee-Pipeline, wo Kompromisslösungen von ihnen behindert werden. Oder sie einfach zur staatspolitischen Affäre zu stilisieren wie im Fall der taz-Satire. Allerdings hat es sich gezeigt, dass die taz-Satire auch den Gruppen der polnischen alternativen Linken nützlich war, die heute den verlassenen Platz einer linken politischen Partei in Polen eingenommen haben.
Bislang ist noch jede wirkungsvolle politische Satire als niveaulos, grobschlächtig, ehrverletzend und neben der Sache liegend charakterisiert worden. Gut, in Ordnung, wenn dies das Eintrittsgeld ist, um anschließend in eine Diskussion über die Politik der gegenwärtigen polnischen Regierung einzutreten – vor allem, was deren Rückwirkung auf die Europäische Union anlangt. Es reicht eben nicht aus, zu sagen, die Satire war doof, aber die Antwort der polnischen Regierung überzogen bis lächerlich. Das ist ein allzu bequemes Ausweichmanöver.
CHRISTIAN SEMLER