Männer sehnsüchtig gesucht

In Kitas arbeiten überwiegend Erzieherinnen. Dabei spielen männliche Bezugspersonen bei der Betreuung der Kinder eine wichtige Rolle. Das zeigt das Beispiel der Tagesstätte der Freien Universität

„Die Jungs sollen erleben, dass man nicht immerder große Held sein mussund auch mal weinen darf“

von Jörg Brause

Noch eine Rolle rückwärts und einen Purzelbaum hinterher. Zehn Kinder tummeln sich im Turnraum der Kindertagesstätte an der Freien Universität (FU). Sie proben für ihren Auftritt beim Sommerfest. „Das habt ihr gut gemacht“, lobt Camillo Wittig die Mädchen und Jungen. Dann umringen die den Erzieher und ziehen gemeinsam aus dem dreistöckigen Haus in Dahlem hinaus in den Garten. 167 Kinder verschiedener Nationen besuchen den Kindergarten. Die meisten von ihnen verbringen den ganzen Tag hier, betreut von 14 Erzieherinnen und drei Erziehern.

Mit ihren drei pädagogischen Mitarbeitern dürfte die Berliner Einrichtung bundesweit einen Spitzenplatz belegen. Denn an vielen Kindergärten trifft man überhaupt keine Männer an. Republikweit sind nicht einmal vier Prozent aller Beschäftigten in Kitas männlich. Dabei zählt die letzte aktuelle Erhebung des Statistischen Bundesamtes von 2002 auch Köche und andere Berufsgruppen mit. Die Zahl der Erzieher ist also tatsächlich sehr viel geringer. In Berlin sieht es etwas besser aus – aber auch hier waren 2002 gerade mal sechs Prozent aller Bediensteten in Tagesstätten für Kinder männlich. Neuere Zahlen existieren nicht.

Pädagogen fordern schon lange, mehr Männer in Kitas zu beschäftigen. Sylvia Engels zufolge, die die Kindertagesstätte der FU leitet, ermöglichen erst Männer-Frauen-Teams den Kindern, die ganze Bandbreite von Gefühlen und Verhaltensweisen der Geschlechter im Kitaalltag zu erfahren.

„Viele allein erziehende Eltern schicken ihre Kinder hierher, die meisten davon Mütter. Und da Mädchen und Jungen nun mal verschieden sind, ist es wichtig, dass sie nicht nur von Frauen und von ‚Weiblichkeit‘ umgeben sind“, berichtet Engels. Als Pioniere einer geschlechtsspezifischen Pädagogik versteht die Leiterin ihr Team dennoch nicht. „Männer haben hier schon seit der Gründung des Hauses vor fast 30 Jahren gearbeitet. Das ist für uns ganz selbstverständlich.“

Eine Selbstverständlichkeit, in der die Pädagogin eine Bereicherung gerade für die Jungs sieht. „Die Heranwachsenden brauchen die Auseinandersetzung mit den Erziehern, die ja selbst mal Jungen waren. Deshalb können sie anders auf ihre Bedürfnisse eingehen und manches auch besser machen als die Frauen.“

Auf dem Spielplatz schaufeln Jungs und Mädchen Sand in Eimer. Andere klettern gemeinsam auf roten Gerüsten, toben um die Kiefern herum. Ein rollenspezifisches Verhalten ist dabei kaum auszumachen. Dafür scheinen im Gruppenraum einige Bilder Geschlechterklischees zu bestätigen. Gabriele Barthold-Kloss zeigt auf einige krakelige Zeichnungen. Ein Mann mit Schwert ist da zu sehen. Daneben ein Blatt mit blauen und roten Figuren. „Das zeigt die Frau und die Enkelin des Malers Max Liebermann, wie sie ein Mädchen nach einer Fotografie zeichnete. Das andere Bild stellt die Waffe des deutschen Kaisers dar, die ein Junge gemalt hat“, berichtet die Erzieherin über das Projekt „große Künstler“.

Das macht stutzig. Ausgerechnet Wilhelm Zwo. Ist das typisch männlich, wenn das Schwert der Reiterfigur als Signet des Helden erkannt und angenommen wird? Für Gabriele Barthold-Kloss geben die Bilder einen Einblick, wie unterschiedlich Jungs und Mädchen die Welt wahrnehmen und sich für sehr verschiedene Dinge interessieren.

Hinter ihr trampeln Kinder lärmend die Treppe hinauf. Camillo Wittig und sein Kollege Dirk Broszeit decken Tische für das Mittagessen. 20 Gedecke für hungrige Zwei- bis Sechsjährige, die Schüsseln balancieren, kleckern, Gabeln fallen lassen. Die beiden Männer schauen ruhig zu und helfen hier und da, bevor ein Teller kippt und ein Malheur passiert. Drei Mädchen streiten sich. Wittig schreitet ein und ermahnt sie, jetzt zu essen. Sage noch einer, Männer können nicht mit Kindern umgehen.

Für Broszeit ist es keine Frage, dass seine Kollegen und er den Beruf ebenso gut ausüben können wie Frauen und dabei auch eigene Akzente setzen. „Männer trauen den Kindern eher etwas zu, können ihnen mehr Freiräume lassen und sind nicht so ängstlich, wenn die mal auf Bäume klettern oder was ausprobieren“, berichtet er. In seiner Waldgruppe bauen sie mit Stöcken, schnitzen oder gehen angeln. „Und da sind nicht nur die Jungs dabei.“

Broszeit wie Wittig handeln nach dem Grundsatz, dass jedes Kind überall mitmachen kann. Damit wollen sie vermeiden, männliches oder weibliches Rollenverhalten gezielt zu fördern. „Klar, mit den Erziehern können Jungs auch mal raufen oder Fußball spielen. Gerade die älteren Kinder finden das ganz toll“, so Wittig. „Für uns Männer kommt es aber auch darauf an, mal Schwächen zu zeigen. Damit die Jungs erleben können, dass man nicht immer der große Held sein muss und auch mal weinen darf.“