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Archiv-Artikel

Mehr Armut bei mehr Entwicklungshilfe

Der neue UNO-Jahresbericht zu Handel und Entwicklung diagnostiziert eine falsche Gewichtung bei Hilfen für die 50 ärmsten Länder. Um Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen, muss stärker in Infrastruktur und Produktion investiert werden

VON DOROTHEA HAHN

Der Blick in die Armenhäuser des Planeten enthüllt vor allem Niederschmetterndes: In den 50 am wenigsten entwickelten Ländern (LDC) – von denen die meisten in Afrika liegen, einige in Asien und mit Haiti ein einziges in Lateinamerika – nimmt die Armut zu, stagniert oder sinkt die Produktivität in der Landwirtschaft, entstehen nicht annähernd genügend Arbeitsplätze im industriellen Bereich und ist die durchschnittliche Schulzeit mit nur drei Jahren rückläufig. Von den ohnehin wenigen HochschulabsolventInnen aus LDC-Ländern emigrieren immer mehr. Dies alles, obwohl das Wirtschaftswachstum in den LDC im Jahr 2004 bei immerhin 5,9 Prozent lag und sich die Hilfeleistungen aus den reichen Ländern an die LDC zwischen 1999 und 20034 verdoppelt haben.

Diese Daten gehen aus dem gestern vorgestellten Jahresbericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) hervor. Unter dem Titel „Entwicklung der Produktiv-Kapazitäten“ liefert die 352 Seiten starke Bestandsaufnahme auch Erklärungen dafür, warum das Elend trotz der im Jahr 2004 auf 24,9 Milliarden US-Dollar angestiegenen verdoppelten Entwicklungshilfe so groß ist.

Einerseits geht mit 30 Prozent fast ein Drittel der Hilfsmittel in den Schuldenerlass und Notfallhilfe – und kommt somit nie wirklich in den Volkswirtschaften der LDC-Länder an. Zweitens sind die Mittel extrem ungleich verteilt – 30 Prozent aller Hilfsleistungen zwischen 1999 und 2004 kamen nur zwei Ländern zugute: Afghanistan und der Demokratischen Republik Kongo. Und drittens hat es bei den Hilfsgeldern eine Umwidmung gegeben: weg von Investitionen in Infrastruktur und Produktivkräfte und hin zu sozialen Hilfen.

Zwischen 2002 und 2004 flossen nur 24 Prozent der Gelder in den produktiven Bereich – statt 48 Prozent ein Jahrzehnt zuvor. Der viel größere „Rest“ fließt heute in soziale, humanitäre und medizinische Projekte. Erschwerend für die Ärmsten unter den Armen kommt hinzu, dass von den Investitionen in Produktivkapazitäten wiederum 70 Prozent in die vier Erdöl exportierenden LDC-Länder fließen: Angola, Äquatorialafrika, Sudan und Jemen.

Diese Gewichtung der Entwicklungshilfe hält die Unctad für falsch. Michael Herrmann, Co-Autor des Berichtes, prognostiziert, dass die Verschuldung der LDC-Länder zunehmen, die Beschäftigungskrise noch gravierender und der Abwanderungsdruck noch größer werden, wenn sich daran nichts Grundsätzliches ändert. „Die Beschäftigung muss verdoppelt werden“, erklärt er bei der Vorstellung des Jahresberichtes in Berlin, „die Leute brauchen Arbeit und Einkommen.“ Er verlangt eine „Balance zwischen sozialen und produktiven Hilfen“. Zu Letzteren gehören auch Infrastrukturmaßnahmen wie Straßen, die im letzten Jahrzehnt vernachlässig wurden. Herrmann: „Manche Bauern kommen nicht auf die Märkte, weil es keine Straßen gibt.“

LDC-Länder haben besonders niedrige Pro-Kopf-Einkommen, sind wegen ihrer Orientierung auf Rohstoffexporte – insbesondere Kaffee – wirtschaftlich extrem abhängig. Sie haben – mit Ausnahme von Bangladesch, Kambodscha und Birma – kaum neue Gewerbezweige entwickelt, stellen fast keine Maschinen her und importieren heute genauso wenige Maschinen wie in den 80er-Jahren. Der Kreis der LDC-Länder ist ständig größer geworden. Wer einmal dazugehört, schafft es kaum wieder heraus. Nur Botswana steht heute – wegen seiner Diamanten – nicht mehr auf der Liste.

Die Unctad hält ein Wirtschaftswachstum von „mehr als 7 Prozent“ in den LDC-Ländern für nötig. Erst ab dieser Grenze könnte sich die Situation ihrer BewohnerInnen, von denen hunderte Millionen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag leben, verbessert werden. Anders als in Industrieländern schaffe, so die Unctad, Wirtschaftswachstum in LDC-Ländern quasi automatisch mehr Arbeitsplätze.