Eine Band schwimmt sich frei

KONZERTE Jennifer Rostock sind mit ihrem neuen Album „Schlaflos“ auch im Norden auf Tour

Wenn eine Band im Popgeschäft etwas werden will, dann sollte sie klarmachen können, wofür sie steht. Sie sollte sich einordnen lassen in eine bestimmte Richtung oder darlegen können, dass das mit dem Einordnen schwierig ist, weil mehrere Richtungen ineinander fließen. Ferner sollte die Band ein charakteristisches Styling wählen und sich entscheiden, welche Rolle sie zu spielen gedenkt: Underground für Kenner? Oder Pop für’s Radio?

Bei Jennifer Rostock ist in puncto Profilierung vieles ungewöhnlich. Das fängt damit an, dass Jennifer Rostock keine Sängerin ist, sondern eine Band, die auch nicht aus Rostock kommt, sondern von der Insel Usedom. Die Band mischt Neue Deutsche Welle mit Power-Rock und Glam-Punk zu einer Musik, die schlicht, aber schlüssig auf’s Feiern zielt. Neu kann diese Musik niemandem vorkommen, aber live funktioniert sie hervorragend: Gitarrenbrett und Schlagzeugknüppel treffen auf den Gesangsstil, den seinerzeit Annette Humpe bei der NDW-Band Ideal erfunden hat.

Visuell wird die Punk-Komponente vor allem von der ganzkörpertätowierten Frontfrau Jennifer Weist beigesteuert: Bei den Konzerten trinkt man gemeinsam mit den Fans Schnaps, es gibt keine Abgrenzung, sondern das Gegenteil davon, also kumpelhaften Umgang und gemeinsames Schwitzen. Derzeit ist die Band auf Tour zu ihrem neuen Album „Schlaflos“, wobei die beiden Konzerte in Hamburg schon ausverkauft sind. Noch zu haben sind im Norden nur noch Karten für das Konzert am Mittwoch in Hannover.

Die Live-Qualitäten der Band überstrahlen langsam ihre frühere Geschichte, die geprägt ist von anbiedernden Auftritten bei Stefan Raabs kreuzbravem Bundesvision Song Contest oder dem Perfekten Promi Dinner. Street Credibility haben Jennifer Rostock immer noch keine, aber die Band arbeitet daran, indem sie sich ab und zu mit politischen Statements hervortut. 2013 beispielsweise postete Frontfrau Jennifer Weist auf ihrer Facebook-Seite: „Wir wollen nie wieder Leute mit Böhse-Onkelz-Shirts auf unseren Konzerten sehen. Und Freiwild könnt ihr auch stecken lassen!“ Ferner machte der zweite Kopf der Band, Keyboarder Johannes Walter, seinem Freund einen öffentlichen Heiratsantrag. Auf dem neuen Album gibt es nun den Song „Ein Schmerz und eine Kehle“, der sich gegen die Unterdrückung von Homosexuellen richtet.

Trotzdem haben Jennifer Rostock Probleme damit, aus der Teenie-Spaßband-Ecke herauszukommen. Auch der Verdacht, weniger eine „echte“ Band zu sein als das Produkt einer großen Plattenfirma, haftet ihnen hartnäckig an. Die Konzerte könnten der Schlüssel sein, daran etwas zu ändern. Denn echten Spaß kann man mit Retorten-Rockbands selten haben.  KLAUS IRLER

■ Jennifer Rostock im Norden: 5. Februar, Capitol, Hannover; 8. und 9. Februar, Große Freiheit, Hamburg (beide Konzerte ausverkauft)