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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Die Leiden eines Metzgers

Mein Schwiegervater hat wirklich für vieles Verständnis. Aber nicht dafür, dass jemand kein Fleisch isst. Vor allem nicht, wenn die Verweigerer seine eigenen Enkel sind

Im Sommer werden die Kinder aufs schwäbische Land verschickt. Zu ihren Großeltern. Erster Ferientag: ab mit ihnen. Das ist hart für die liebenden Eltern, aber … man muss auch loslassen können. Die Kinder kriegen: Liebe, Garten, Badesee, Fernsehen ohne Ende, eine stets gefüllte Eistruhe und auch sonst Vollkonsumbefriedigung. Und für die Großeltern ist es eine Zeit, in der sie ihre Werte und Vorstellung von Familie den Enkeln aus der Stadt vermitteln können, ohne dass die mittlere Generation ständig relativiert oder gegensteuert. Nur so zum Beispiel: Ich besitze keine Fliegenklatsche. Dort ist sie ein Kulturgut. Patsch.

Ein wichtiger Teil des Tagesablaufs ist das Essen. Essen heißt Fleisch essen. Mein Schwiegervater ist Metzgermeister und damit Experte und Liebhaber. Er schiebt mir nicht nur irgendein Stück Fleisch rüber. Er berät, erklärt, schneidet nach individueller Ansage mit seinen Spezialmessern kompetent Stücke ab, fast bin ich versucht zu sagen: liebevoll. Die Tiere hat er meistens selbst geschlachtet. Unten im Schlachtraum des Hauses. Die Großmutter der Kinder wischt danach das Blut zusammen.

Der Großvater kann wirklich viel verstehen. Aber nicht, dass jemand kein Fleisch mag. Oder kein Anhänger des VfB Stuttgart ist. Es muss also hart sein für ihn, dass mein Sohn Adorno nicht nur Barcelona-Fan ist, sondern zu allem Unglück auch noch Vegetarier. Und dass meine Tochter Penelope bis auf ein Würstchen hie und da auch fleischfrei lebt. Seine Enkel! Blut von seinem Metzgerblut. Was ist da schiefgelaufen?

Ab und zu probiert er es und sagt: „Hier, versucht das mal. Das schmeckt gut.“ Dann macht Penelope ihr gequältes Gesicht und presst eine höfliche Ablehnung heraus. Und Adorno steckt einen Finger in den Hals.

Für den Großvater ist Fleisch essen ein kultureller Wert, ein wichtiger Teil seiner Lebensgeschichte – die auch eine Geschichte der Nachkriegsbundesrepublik ist. Was ihn geprägt hat, was ihm etwas bedeutet, was er richtig gut kann, all das kann er nun mit seinen Nachfahren nicht teilen.

Ganz überraschend kommt das allerdings für ihn nicht. Mit der Mutter seiner Enkel hatte er dasselbe Geschiss. Er schob ihr eine Kindheit lang bei jedem Essen die schönsten Stücke zu, wie es nur ein liebender Metzgervater kann. Und sie schob sie jedes Mal angewidert zurück.

Einmal rief er voll Schmerz über die Zurückweisung: es werde der Tag kommen, an dem sie bitter bereuen werde, all das schöne Fleisch nicht gegessen zu haben. „Aber dann ist es zu spät.“

Ich habe sie eben gefragt: Sie hat es nicht bereut. Immerhin isst sie seither alle zwei Wochen ein Schweineschnitzel. Aber das ist für meinen Schwiegervater nur ein schwacher Trost.

■ Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber