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Archiv-Artikel

„Das ist für die eine Party“

EINMACHEN Sauerkraut lässt sich einfach selbst herstellen. Und ist dann so gesund. Ein Interview über gute Bakterien und beste Aromen

Cathrin Brandes

ist Essenserfinderin, Gastronomieberaterin, Food-Bloggerin und Gründerin des Speisenklub Neukölln. Als KrautBraut fermentiert sie jedes Gemüse, was ihr in die Finger kommt und vermittelt ihr Wissen über das Trendthema Fermentation in Workshops und Vorträgen.

VON JÖRN KABISCH

sonntaz: Frau Brandes, immer mehr Menschen interessieren sich fürs Einmachen und kochen Marmelade, stellen Pesto selber her oder legen Gemüse ein. Können Sie sich den Trend erklären?

Cathrin Brandes: Wir haben uns lange Zeit die Sorge um unsere Ernährung von einer immer mächtiger werdenden Lebensmittelindustrie abnehmen lassen. Jetzt merken viele Menschen, dass das nicht gut war. Zum einen essen wir immer künstlicheres Essen. Zum anderen haben wir keinen Spaß mehr beim Kochen und gemeinsamen Essen. Wenn wir selber Lebensmittel einmachen, wissen wir was drin ist und haben auch noch die Befriedigung und den Spaß.

Warum soll man gerade Sauerkraut einmachen? Das ist doch ziemlich billig.

Es geht nicht um billig, es geht um gut. Wenn man Sauerkraut produziert, hat man ein lebendes Produkt. Das Sauerkraut, das uns die Nahrungsmittelindustrie liefert, ist meist mit Additiven versetzt und pasteurisiert. In der Form ist Sauerkraut tot. Stellt man es selbst her, dann sind die Mikroorganismen am Werk, die in der eigenen Umgebung gedeihen und mit dem eigenen Körper zusammenarbeiten.

Ein Kraut, das lebt. Ist das nicht igitt?

Ganz und gar nicht. Wir können Lebensmittel, ob Fleisch oder Gemüse, gar nicht so gründlich waschen, dass wir sämtliche Bakterien und Pilze wegbekommen. Eigentlich lebt alles, was wir essen, noch ein bisschen.

Und Sauerkraut soll noch mehr leben?

Das ist ja keine neue Erfindung. Die Lactatfermentation ist eine der ältesten Methoden der Menschheit, Lebensmittel haltbar zu machen. Wir können natürlich weiter in Plastik verpackte Sachen kaufen, die von der Nahrungsmittelindustrie in einem sterilen Umfeld produziert werden. Aber inzwischen weiß man, dass es auch ungesund ist, wenn wir Mikroorganismen nicht an unseren Körper lassen. Viele Ärzte vermuten, dass die Ursachen für Depressionen und Allergien im Darm liegen können. Deswegen lohnt es sich, Sauerkraut selbst zu machen.

Lactatfermentation klingt kompliziert …

… ist es aber nicht. Es ist ein Verfahren, Lebensmittel in einer sauren Umgebung zu konservieren. Bei einem hohen PH-Wert haben nur sehr wenige Mikroorganismen eine Überlebenschance. Man kann das mit Essig machen oder mit Milchsäurebakterien. Und die müssen sie nicht kaufen, die befinden sich auf Ihrem Körper, in Ihrer Küche, auf dem Gemüse selbst. Wir müssen ihnen nur ein Umfeld schaffen, in dem sie sich wohlfühlen und die Arbeit aufnehmen.

Also: Man nehme einen Kohlkopf …

… und da kann man jeden nehmen, nicht nur Weißkohl. Spitzkohl ist schön, Wirsing oder Rotkohl. Der wird etwas bitter. Den Kohl schneidet man klein und braucht nur noch Salz. Das knetet man kräftig in das Kraut. So wird der Saft aus dem Gemüse gezogen und der Zucker darin auch. Und das ist genau das, worauf sich die Milchsäurebakterien stürzen. Das ist für die eine Party!

Sauerkrautzubereitung scheint viel mit Zoologie zu tun zu haben.

Absolut. Das ist reiner Darwinismus. Denn es kommt darauf an, welche Bakterien und Pilze am Ende des Prozesses die Überhand bekommen. Und da kann der Mensch eingreifen und den Bakterien helfen, die das Gemüse gesund und bekömmlich machen. Wenn wir den Kohl einfach nur liegen lassen, würde er verfaulen. Milchsäurebakterien hätten keine Chance.

Wie geht es mit unserem Sauerkraut weiter?

Wenn man den Kohl mit der Salzlake in ein Glas einstampft, dann entsteht ein anaerobes Umfeld, in dem sich die benötigten Milchsäurebakterien am wohlsten fühlen. Gleichzeitig sorgt das saure Umfeld dafür, dass andere Bakterien, wie Hefen oder Schimmelpilze absterben. Damit bekommt die Fermentation einen guten Start.

Braucht man dafür diese großen alten Steinguttöpfe, die wir noch von Oma kennen?

Wenn man große Mengen produziert, sind die schon toll.

Aber ich kann für den Singlehaushalt auch eine Frischhaltedose verwenden.

Plastik ist nicht gut. Es sollte schon Glas oder Steingut sein. Ich nehme normale Einmachgläser mit Schraubverschluss. Bügelverschluss geht auch. Für einen Kohlkopf, der ein Kilo schwer ist, reichen zwei größere Exemplare. Das ist perfekt für einen normalen Haushalt Denn seien wir ehrlich: Große Mengen will heutzutage niemand mehr. Wenn wir zwei, drei Mal im Monat Sauerkraut essen, dann ist das doch schon viel.

„Wir Deutsche sind ein bisschen fixiert auf den Kohl“

Also Deckel drauf und abwarten.

Man sollte sein Sauerkraut anfangs schon beobachten. In den ersten drei bis fünf Tagen ist die Fermentation am aktivsten, es sind noch die meisten Bakterienstämme aktiv, die nicht nur den Zucker zersetzen. Kohlensäure wird produziert. Da kann man leicht das Gefühl haben, das Sauerkraut lebt. Es müffelt auch ein bisschen. Deshalb sollte man die Gläser mit Schraubverschluss die ersten drei Tage nicht fest verschließen, damit die Kohlensäure entweichen kann. Außerdem entsteht ein leichter Schaum, den man alle zwei, drei Tage abschöpfen sollte. Wichtig ist, dass das Kraut die ganze Zeit von der Lake bedeckt ist.

Und dann kann man die Gläser in den Kühlschrank stellen.

Auf keinen Fall. Dann mag keine Bakterie mehr arbeiten. Viel zu kalt. Am besten, man lagert das angesetzte Sauerkraut bei Zimmertemperatur in irgendeiner dunklen Ecke der Küche. Dann beginnt nämlich erst die nächste Fermentationsphase, in der das Kraut richtig Säure und Aroma entwickelt. Diese Phase dauert etwa sechs bis acht Tage. Erst wenn es den Säuregrad erreicht hat, den ich mag – nach zehn bis zwölf Tagen –, stelle ich die Gläser in den Kühlschrank. Dann hören die Bakterien auf, zu arbeiten.

Was kann ich von meinem selbst gemachten Sauerkraut erwarten?

Es entsteht eine geschmackliche Dichte und Vielfalt, die man in einem gekauften Produkt gar nicht haben kann. Und es schmeckt nie gleich. Das vom Vorjahr schmeckt anders als das diesjährige, das aus dem November unterscheidet sich von dem im Januar. Der Kohl hat eine andere Herkunft, vielleicht sind andere Bakterien drauf. Oder die Mikroorganismen auf meinem Körper sind andere. Auch die Temperatur, bei der das Kraut vergärt, hat Einfluss. Da muss man sich drauf einlassen. Dass Sauerkraut immer gleich schmeckt, schafft nur die Industrie.

Muss es denn immer nur Sauerkraut sein?

Natürlich nicht. Wir Deutsche sind nur ein bisschen fixiert auf den Kohl. Mit Milchsäurefermentation lassen sich auch viele andere Gemüsesorten konservieren. Denken Sie an saure Gurken. Oder nehmen Sie Karotten, Paprika, Zucchini oder Rote Bete.

Die Essecke: Jörn Kabisch befragt an dieser Stelle jeden Monat Praktiker des Kochens. Undine Zimmer kocht mit dem, was im Kühlschrank übrig blieb; Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte und Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte.