: Mein Marder und ich
Wenn ein Nager unterm Dach sein Unwesen treibt, dann klingeln die Höllenglocken
Wie ich dazu gekommen bin, ob geerbt, erschlichen, gewonnen oder wie auch immer, muss mein Geheimnis bleiben. Jedenfalls gehört mir seit einiger Zeit ein Haus – und seitdem habe, nein, hatte ich ein Problem. Ein Steinmarder trieb auf dem Dachboden sein obszönes Spiel mit mir. Und es dauerte nur ein paar Wochen, da stellte sich die bekannte Spätwestern-Frage in nicht zu überhörender Dringlichkeit: „Dieses Haus ist zu klein für uns beide – du oder ich?“
Wer diese possierlichen Pelzträger mal im naturhistorischen Museum seiner Wahl gesehen hat, wird mich verachten, ach, ich dachte damals ja genauso … Mein Marder war aber eine Drecksau von Graden, ein hyper- und artgemäß nachtaktives Tier mit einem gar mächtigen Kratzfuß und mit einer gewaltigen, schlicht ehrfurchtgebietenden Verdauung. Dieses Mistschwein ließ mich schlecht träumen, vor allem jedoch seichte und schiss es mir den Dachboden voll: die dort verwahrten Kinderbücher, obenauf „Die Kinder von Burg Schreckenstein“; Liebesbriefe, fünf Jahrgänge Die Zeit, Klassenarbeitshefte aus der Mittelstufe, BAPs „Vun drinne noh drusse“, Bob Dylans „Real Life“, den „Grease“-Soundtrack – nur Dreck eigentlich, um den es nicht sonderlich schade war, aber es ging hier schließlich auch um prinzipielle Machtfragen. Also rief ich den für mich zuständigen Revierförster an: „Was kann man denn gegen einen Marder unternehmen?“ – „Oooch“, er wirkte enttäuscht, „da können Sie nicht viel machen, Sie dürfen in geschlossenen Räumen ja nicht schießen!“ Ich wollte nicht schießen, aber ich freute mich, dass der Förster mein Problem ernst nahm. „Ich dachte auch eher an Gift.“ – „Geht der sowieso nicht ran“, konterte er wegwerfend. „Ist leider auch verboten, der Marder steht unter Naturschutz.“ – „Wie? Dann muss ich mit ansehen, wie diese Arschgranate …“ Ich verlor mich im Skatologischen. – „Von Rechts wegen: Ja! Aber …“, er schien zu überlegen, ob er mir trauen konnte, „wollen mal so sagen: Das Gespräch bleibt unter uns, ja!?“ Und er öffnete für mich den Deckel seiner Erfahrungsschatztruhe …
Ich schlief eine Nacht drüber, und ich schlief schlecht. Aber am nächsten Morgen sah es plötzlich so aus, als könnte doch noch alles gut werden. Ein Freund rief an, und der kannte mal einen, der kannte einen, der habe „seinen Marder mit lauter Musik vom Dachstuhl bekommen“. An diesem Abend lieh ich mir den Ghettoblaster meines Hip-Hop-Neffen, eichte ihn auf Radio 21, den Oldie-Rock-Sender, denn hier war die gewünschte Nervtöterei wohl am ehesten zu gewärtigen, und ließ den Gorilla brüllen …
Ich konnte wieder nicht einschlafen, weil Eric Clapton und Konsorten ihre Marshall-Stacks gleich neben meinem Bett aufgestellt zu haben schienen, aber irgendwann ist die Müdigkeit doch stärker als aller Kummer dieser Erde.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf und lief hoch. Der Ghettoblaster war ausgestellt, und auf den Bedienungstasten lag ein daumendicker Riemen Mardernotdurft. Das Schwein hatte sich auf dem Gorilla meines Neffen entleert – ihn förmlich ausgeschissen. Ich war stinksauer. Jetzt galt es durchzugreifen. Noch am selben Tag suchte ich ein Geschäft auf, das ich ungern und selten frequentiere, das mich aber noch nie enttäuscht hat, wenn ich Hardware benötige. Es ist der Laden fürs Grobe und er heißt Eisen-Kutzner!
Zielstrebig ging ich zur Info-Theke, wo ein älterer Vierschrot im blaugrauen Kittel gerade einer jüngeren Dame die Vorteile von Wolf-Aufsitzmähern erläuterte. Als er sie mit einem Prospekt allein lassen zu können glaubte, wandte er sich an mich. „Ich möchte eine verdammte Marderfalle!“ Seine Augen huschten irritiert und ängstlich zur Kundin hinüber, die sich aber nicht stören ließ. „Sie meinen … eine Rattenfalle!“ – „Nein“, lachte ich bitter, „ich meine durchaus eine Marderfalle.“ Er nickte begütigend, schüttelte dann aber unmerklich den Kopf und zuckte kurz augenrollend zur Kundin hinüber. „Sie meinen sicher eine Rattenfalle.“ – „Ja, klar … eine Rattenfalle.“ – „Dann kommen Sie doch bitte mal mit nach hinten …“ Zehn Minuten später fuhr ich aufgeräumt nach Hause. Radio 21 spielte „Hells Bells“, als ob die auch noch eine Rechnung offen hätten. Der Graurock vom Eisenwarenladen hatte mir noch zugeraunt, dass „diese Tiere“ gern sehr reife Bananen zu sich nähmen, also machte ich einen strategischen Umweg über meinen local dealer und kaufte „Gammel-Chiquitas für den Zoo, ruhig schön schwarz“. Ich stieg langsam die Treppen hoch, ins Dachgeschoss, und ließ das Eisen baumeln. Es schlug mit einem harten „Tock“ gegen die hölzernen Kanten der Stufenpodeste. Zweiundzwanzig Stufen. Zweiundzwanzigmal „Tock“. Ich wollte mir nichts nachsagen lassen. Er war jetzt gewarnt!
Die Nachbarschaft wunderte sich, tags darauf, über das entmenschte Siegesgebrüll bei Sonnenaufgang. Und dass ich so früh schon mit dem Fahrrad unterwegs war, mit einem blauen Müllsack über der Schulter.
FRANK SCHÄFER