: „Ich bin von Obama enttäuscht“
NETZ Der amerikanische Sicherheitsexperte Bruce Schneier über den Afghanistan-Coup von Wikileaks, noch mehr Datenlecks und die aktuelle Sicherheitspolitik des US-Präsidenten
■ Der 47-Jährige ist einer der bekanntesten IT-Sicherheitsexperten der USA. Er entwickelte verschiedene Verschlüsselungsverfahren und wird von Hackern wie von der US-Politik respektiert.
INTERVIEW BEN SCHWAN
taz: Herr Schneier, waren Sie als Verschlüsselungs- und Datensicherheitsexperte überrascht darüber, wie umfangreich die Afghanistan-Kriegstagebücher waren, die Wikileaks kürzlich ins Netz stellte? 77.000 Dateien sind ja schon eine ganze Menge.
Bruce Schneier: Es gibt 1,5 Millionen US-Militärangehörige und rund eine halbe Million zivile Vertragsarbeiter. Wenn jeder von denen nur eine Datei pro Tag produziert, sind es 77.000 Files in einer Stunde. Man sollte außerdem bedenken, dass Dateien gerne im Bündel gespeichert werden. Ich könnte 77.000 einzelne Files auf meinem PC haben. Jeder einigermaßen große Unternehmensserver trägt eine Million Dateien oder mehr. In Wahrheit sind 77.000 Dateien also gar nicht so viel. Die Überraschung ist, dass solche Leaks nicht dauernd vorkommen.
Ist die IT-Sicherheit beim US-Militär Ihrer Meinung adäquat?
Es hat weniger damit zu tun, wie gut die Sicherheitsvorkehrungen sind, als mit den Personen, die dort arbeiten. Das US-Militär besteht, wie alle Organisationen, nun mal aus Menschen. Diese Menschen sind dazu autorisiert, auf geheime Daten zuzugreifen – so erledigen sie nun mal ihren Job. Wenn also jemand dieser Leute diese Informationen außerhalb der Organisation bringen und veröffentlichen will, lässt sich das fast nicht stoppen. Es ist kein Problem der Technologie, es ist das unumgängliche Problem, das sich einstellt, sobald man es mit einem Kreis von Insidern zu tun hat.
Wie findet man die wirklich wertvollen Daten bei Wikileaks?
Das ist in der Tat ein Problem, das stetig schwieriger wird – und es kommt nicht einmal so sehr auf die Art der Daten an. Der Trick dabei ist, viel zu automatisieren – es gibt einfach nicht genügend Zeit dafür, dass jemand sich hinsetzt und manuell Millionen von Seiten durchliest, um die wirklich interessanten Informationen herauszusieben. Es gibt aber viel Forschung auf diesem Gebiet. Bereits jetzt werden frühe Systeme für bestimmte Anwendungsfälle eingesetzt, die in Spezialbereichen bereits gut funktionieren, mit eher allgemeinen Daten noch nicht so gut. Das wird sich mit der Zeit aber ändern. Das Nadel-im-Heuhaufen-Problem wird uns aber erhalten bleiben – und es wird dank immer mehr Daten stetig schwieriger.
Bradley Manning, der US-Militäranalyst, der womöglich auch die Kriegstagebücher veröffentlicht hat, wurde von einem ehemaligen Hacker an die Armee verraten. Gibt es nicht so was wie Hacker-Ehre?
Wir wissen wirklich nur sehr wenig über die Interaktionen zwischen Manning und Adrian Lamo, dem Ex-Hacker und heutigen Journalisten – und wiederum dessen Gespräche mit Chet Uber, der ihn dann mit der US-Regierung in Verbindung gesetzt hat. Ebenfalls wissen wir nicht, was zwischen Uber, Lamo und den Beamten passierte. Ich will mich deshalb mit einem Urteil zurückhalten.
Wird die US-Regierung nun Wikileaks-Mitglieder verfolgen? Jacob Appelbaum, einer der Sprecher der Organisation, wurde in den USA verhört.
Das kann ich nicht sagen. Es könnte ein politischer Schritt gewesen sein, um anderen Menschen Angst zu machen und die Aufmerksamkeit weiter von den tatsächlichen Inhalten der Kriegstagebücher abzulenken und dem Prozess ihrer Publikation. Das hängt stark davon ab, wie der Rest des Skandals ausgeht.
Barack Obama hat auch deshalb die Wahl gewonnen, weil er eine liberalere Sicherheitspolitik versprach. Sind Sie enttäuscht darüber, was da jetzt passiert?
Ich bin sehr enttäuscht. Obama macht einfach mit den gleichen Regierungsprogrammen weiter und erweitert sogar einige – und zwar mit den gleichen Vollmachten des Präsidenten, gegen die er in den Wahlkampf zog.
Ist Obama schlimmer als Bush?
Ich bin von Obama enttäuschter, weil ich Besseres von ihm erwartet hätte. Sobald etwas sowohl von einem Republikaner als auch von einem Demokraten im Weißen Haus getan wird, wird es institutionalisiert – und lässt sich später umso schwerer wieder aufheben.