: Hölzerner Spiegel
Geschichten im vorsprachlichen Bereich: Matthias Winzen verabschiedet sich mit einer Balkenhol-Retrospektive von der Kunsthalle Baden-Baden
VON GEORG PATZER
Fast ein weihevoller Raum, diffuses Licht tröpfelt von oben wie ein Heiligenschein. An der Stirnseite, weit hinten, hängt ein großformatiges Porträt, eine Frau schaut friedlich aus dem Bild. In der Mitte des Saals stehen sechs Männer, ruhig, ein wenig starr. Sie tragen schwarze Hosen, ein weißes Hemd, braune Schuhe, die Arme hängen locker herunter. Manche haben ihre Hände in die Hosentaschen gesteckt, einer hat die Arme verschränkt. Sie stehen in einer Runde, mit dem Rücken zueinander, auf Baumstammsockeln, an große Holzplatten gelehnt. Ganz oben, fast an der Decke, läuft ein zwanzigteiliger Fries um die Wand: Ein Trompeter, ein Steinbock sind zu sehen, Löwen, ein Mann mit einer Leiter, liegende Frauen, Akte. Der große Oberlichtsaal strahlt eine tiefe Ruhe aus, ist eine Einladung zur stillen Betrachtung.
Aber nicht nur die Kunst soll und wird man betrachten, sondern auch sich selbst. Denn die Skulpturen von Stephan Balkenhol, die jetzt in der Kunsthalle Baden-Baden zu sehen sind, sind leer. Sie sind polymorph und polyvalent, vieldeutig, sie verwandeln und verändern sich in der Wahrnehmung. Von ferne sehen sie realistisch aus, fast lebendig, je näher man kommt, desto deutlicher werden die Grobheiten, die Balkenhol hineinhaut: die aus dem Holz, aus einem einzigen Baumstamm gehauenen Zacken, die Splitter, die scharf in den Raum stehen, die groben Schnitte und das derb Gehackte, Herausgebrochene. Die Oberfläche ist nicht geglättet, sondern bleibt rau und gebrochen. Und dennoch sind seine ausdruckslosen Männer planvoll gearbeitet: Sie stehen da und bieten sich an, sind durch ihre nichtssagende Miene Reflektions- und Interpretationsfolie. Sie weisen den Betrachter ab, verschließen sich und bieten keine eindeutige Aussage. „Hölzerne Spiegelbilder“ nennt der ehemalige Kunsthallenleiter Matthias Winzen Balkenhols Skulpturen: „Masken einerseits, Rollenhülsen andererseits ohne psychologisierenden Ausdruck.“
„Meine Skulpturen erzählen keine Geschichten“, sagt Balkenhol, der seit 1992 Professor der Kunstakademie Karlsruhe ist. So ganz stimmt es allerdings nicht, denn natürlich erzählen sie doch etwas, sie können gar nicht anders. So deutet der kleine „Elefantenmensch“ mit Männerkörper und Elefantenkopf eine Geschichte über den Menschen und die Menschheitsgeschichte an, über Verwandlungen und Transformationen, sogar über die indische Götterwelt (auch Ganescha hatte einen Elefantenkopf). So erzählen seine siebzehn handhohen, tanzenden Paare etwas über die Unmöglichkeit, den Moment in Holz festzuhalten, und den überraschenden Augenblick, wenn es dann trotzdem gelingt. Und vom Glück, wenn man diese Holzfiguren beim schnellen Durchgehen des Raums dann plötzlich tatsächlich tanzen sieht, wenn sie sich bewegen, wenn sie auf einmal zu schweben scheinen. Und so erzählt seine harte, über viereinhalb Meter große, auf dem Bauch liegende Bronzefigur „Ikarus“, die zur Ausstellung in Baden-Baden erarbeitet wurde, auch etwas von der Brutalität des Absturzes und von der Vermessenheit des Menschen.
Verblüffend und sehr wandlungsfähig, changierend zwischen Malerei und Bildhauerei sind auch Balkenhols Reliefs mit den Ansichten der Kathedrale von Chartres oder einer Hamburger Straße, oder die Reliefporträts, die, wie seine Skulpturen, eine erstaunliche Plastizität und dieselbe leere, fast mystische Offenheit besitzen. Wie Postkartenansichten sehen sie aus, in beinahe monochromer Strenge. Dabei spielt Balkenhol mit den Perspektiven und hat sie oft umgekehrt: In die Oberfläche der Platte hat er die Architektur hineingeschnitzt, dabei bleibt der Himmelshintergrund dem Motiv vorgelagert, das Hintere tritt nach vorne, Vorder- und Hintergrund sind nicht immer eindeutig, dadurch entsteht eine lebendige, schwingende Plastizität: Die Illusion des Bildes, durch die leichte Kolorierung noch verstärkt, wird dem Betrachter bewusst, unwillkürlich reflektiert er das Material und die intellektuelle Arbeitsweise des Künstlers und ist doch gleichzeitig ästhetisch angezogen von diesen großen Bilderplastiken.
Die Skulpturen und Reliefs zeigen damit nicht nur ihr Motiv, sondern immer auch ihr Material und wollen dazu befragt und kritisiert werden. Selbst die Größe der Figuren spielt dabei eine wichtige Rolle: „Es muss klar sein, dass es sich um eine Skulptur handelt, und die hat ihre eigene Lebensgröße“, sagt Balkenhol. Und so wird die Kreuzspinne riesengroß, werden Pudel, Zebra und die sich paarenden Löwen zu kleinen Spielzeugfiguren. Und so sind auch seine Menschenfiguren entweder „zu klein“ oder so groß wie ein Buddhakopf.
Das alles aber, die Rezeption des Materials und des unfassbaren, aber doch spürbaren Inhalts spielt sich im vorsprachlichen Bereich ab. Insofern stimmt es dann eben doch, dass seine Werke keine Geschichten erzählen: Sie sind unmittelbar, wechseln die Bedeutungsebenen, ohne in ein postmodernes Allerlei, ohne ins Kunstgewerbliche abzurutschen, ohne einen gesellschaftlichen Auftrag.
Mit dieser wunderschönen Ausstellung (der ersten großen Retrospektive Balkenhols) mit über 150 Werken verabschiedet sich Matthias Winzen endgültig von der Kunsthalle Baden-Baden, die er seit 1999 auf ein geradezu internationales Niveau gehoben hat: mit der ersten Thomas-Ruff- Retrospektive überhaupt (2001), einer grandiosen Schau mit Werken von Georg Herold (2004) und vielen intellektuell anregenden Themenausstellungen. Nach wachsenden Irritationen mit seinem neuen Nachbarn Frieder Burda nahm Winzen den Ruf an die Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken an, wo er seit dem 1. November letzten Jahres lehrt. Karola Grässlin, eine Tochter der Schwarzwälder Sammlerfamilie, hat seine Stelle übernommen. Im September wird sie ihr erstes Programm für Baden-Baden vorstellen.
Bis 17. SeptemberKatalog (Snoeck Verlag) 38,– €