Die Gurken sind illegal

TAZ-SERIE GÄRTEN (TEIL 4) Im Mariannengarten treffen sich Kreuzberger, Selbstversorger, Aktivisten und Querdenker. Fünf Jahre dürfen sie dort bleiben. Doch Streitigkeiten mit dem Bezirk überschatten das Gärtnern

■  Gärten sind Sehnsuchtsorte, insbesondere für Großstadtbewohner: Im Gras liegen und träumen, Salat oder Marihuana züchten, die Gießkanne schwingen und den Kampf gegen das Unkraut führen.

■  Die taz hat sich in Berlin auf die Suche nach Hobbygärtnern gemacht. Denn man muss keine Scholle in Brandenburg besitzen, um seine botanischen Neigungen auszuleben. Ein Schrebergarten tuts auch. Und selbst auf einem Nordbalkon werden die Tomaten irgendwann rot. Der Hang zur Natur lässt sich auch weniger brav ausleben, etwa indem man Verkehrsinseln begrünt und Baumscheiben mit Blümchen bepflanzt. Jeden Freitag berichtet die taz über schräge und weniger schräge gärtnerische Projekte von Menschen mit grünem Daumen.

VON SVENJA BERGT

Kurz bevor die Aktivisten kommen, macht Sugün Suzen Feierabend. Den ganzen Tag hat sie auf ihrem kleinen Beet im Mariannengarten verbracht. Hat die wachsenden Tomaten bestaunt, etwas Petersilie geerntet und den türkischen Kohl, der an kleinen Stämmen wächst und dessen richtigen Namen keiner kennt.

Der Kohl, erzählt ein anderer Gärtner, hat schon viele Menschen glücklich gemacht. Unter anderem den Vater, der von seinem kleinen Sohn in den Garten mitgenommen wurde. Und sich beim Anblick der Kohlpflanzen in seine Kindheit zurückversetzt gefühlt hat. Die türkischen Gärtnerinnen schenkten ihm einige Blätter und der Vater sei überglücklich gewesen, nach Jahrzehnten wieder diese spezielle Kohlsorte in den Händen zu halten. Ja, sagt Suzen, der Mariannengarten sei schon ein Stück Oase, nicht nur optisch, sondern auch mental.

Seit gut einem Jahr gibt es den Garten am Nordflügel des Bethanien in Kreuzberg, auf fünf Jahre ist das Nutzungsrecht vorerst befristet. Vorangegangen war eine Bürgerbeteiligung zur Neugestaltung des Bethaniengeländes und eine lange Diskussion mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Die Gärtner wollten mehr Fläche, der Bezirk Abstände und Wege; die Gärtner wollten wilde Beete ohne Begrenzung, das Bezirksamt rechte Winkel aus Metall.

Durchgesetzt hat sich in den meisten Fragen die Verwaltung: Die ursprünglich zur Debatte stehende Fläche wurde halbiert, breite Randflächen und Wege angelegt, für die weiterhin der Bezirk verantwortlich ist. Und um die Beetfläche abzugrenzen, wurden flache Metallstangen in den Boden gelassen. Mit rechten Winkeln. „Was wir dem Bezirksamt zugutehalten, ist, dass sie richtig gute Gartenerde hier draufgepackt haben“, sagt Gärtner Hanns Heim. Deshalb gedeiht das Gemüse prächtig.

Plenum am Abend

Doch der Bezirk wacht weiterhin mit Argusaugen über das Gelände. Ist da ein Reifenstapel, der über die Beetfläche hinausragt? Und dort ein frisch gepflanzter Baum, der nicht nur an der falschen Stelle steht, sondern auch zu niedrig ist? Und an der Ecke, diese Sitzgruppe aus Baumstämmen, ist die überhaupt genehmigt? Um diese Probleme geht es abends, wenn Sugün Suzen ihren Arbeitstag beendet hat und die Aktivisten von Ton Steine Gärten sich zum Plenum treffen.

Hanns Heim ist von Anfang an mit dabei. Er ist Gärtner mit klarem Ziel: Selbstversorgung, so weit wie möglich. Bei dem letzten Garten, bei dem er mitgemischt hat – der Rosa Rose – habe das zur Hälfte geklappt. „Zurzeit führe ich das erste Mal in meinem Leben Buch, um zu sehen, wie weit es reicht“, berichtet er.

Viele der Leute, die hier gärtnern, seien vorbeigekommen und hätten spontan gefragt, ob sie mitmachen dürfen, erzählt Heim. Daher sei Mariannengarten nicht nur ein Nachbarschaftsgarten, sondern auch ein interkultureller Garten und ein Selbstversorgergarten sowieso. Diebstähle gebe es auch ohne Tor und Zaun höchst selten. Kinder hätten einmal Mohrrüben geklaut, mehr fällt Heim nicht ein. Aber falls jemand anfangen würde, im großen Stil abzuernten, würden schon die Nachbarn vom Rauchhaus etwas sagen.

Während Heim über die schmalen Wege wandert und sorgsam die Pfützen meidet, die der letzte Regen hinterlassen hat, erklärt er die Pflanzen. Kräuter, Zucchini, Kürbisse, die unbekannte Kohlsorte natürlich und Gurken. Letztere sind illegal – denn sie wachsen nicht auf den zugewiesenen Beeten, sondern auf der Randfläche des Bezirks.

„Kaum hatten wir hier angefangen, kamen schon diese unfreundlichen Briefe“, beklagt sich Heim. Es sind Schreiben, in denen es unter anderem um Denkmalschutz geht, und in denen Sätze wie der folgende stehen: „Ihre Versuche, (…) Verabredungen aufzuweichen, z. B. durch zusätzliche Inanspruchnahme von außerhalb ihres Areals befindlichen Flächen – so geschehen mit der Baumpflanzung und Lagerflächen auf den öffentlichen Wegeflächen –, sowie Gestaltungsvorhaben, die Sie verwirklichen wollen, – wie z. B. die vertikalen Reifenkonstruktionen usw. – sind für den Bezirk nicht hinnehmbar.“

„Was wir dem Bezirksamt zugutehalten, ist, dass sie richtig gute Gartenerde hier draufgepackt haben“

GÄRTNER HANNS HEIM

Überhaupt die Baumpflanzung. Heim seufzt und schaut auf einen jungen Apfelbaum, den Aktivisten beim Via-Campesina-Tag, einem Aktionstag für Ernährungssouveränität und bäuerliche Rechte, in den Boden gesetzt haben. Nicht mitten in die Beete, sondern auf die andere Seite der kleinen Mauer, auf einen breiten unbefestigten Weg. Sie haben ihn an drei langen Holzstäben befestigt, so dass weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick zu erkennen ist, dass es sich nicht um einen offiziell gepflanzten Baum handelt. Erst die massive Holztafel gibt einen Hinweis auf die Identität der Gärtner: „Widerstand wächst weltweit“, steht darauf.

Bezirk fühlt sich provoziert

„Der Apfelbaum wurde auf einer Wegfläche gepflanzt, die nicht zum Gelände gehört“, sagt Jutta Kalepky, Bezirksstadträtin in Friedrichshain-Kreuzberg. Die Nutzungsvereinbarung – deren Abschluss mühevoll genug gewesen sei – beziehe sich nun mal auf eine bestimmte Fläche, die es einzuhalten gelte. „Ich habe am Anfang gedacht, dass wir zusammen üben. Aber mittlerweile denke ich, Ihnen geht es auch darum, Grenzen auszuloten.“ Abgesehen davon, stelle sich die Gruppe selbst ein Bein: „Wenn es Probleme gibt, wird es immer schwieriger, in der Verwaltung jemanden für die Unterstützung solcher Projekte zu überzeugen“, sagt Kalepky.

Heim hat für die Denkweise der Verwaltung kein Verständnis. „Es kann nicht sein, dass wir wegen jedem Scheiß einen Antrag stellen müssen“, sagt er. Mükerrem Özlech, die regelmäßig hierherkommt, wünscht sich eher noch mehr freie Hand für die Gärtner. „Vorher war das alles eine Wüste, und jetzt ist es so schön, warum kann es nicht so bleiben?“, fragt sie. Außerdem brauche der Garten eigentlich viel mehr Platz.

Heim kramt eine Kopie aus seiner Tasche. Auf der Ablichtung eines historischen Buches über den Bezirk ist das Bethanien eingezeichnet, zu einer Zeit, als es noch ein Krankenhaus war. Wörter in Frakturschrift erläutern die Zeichnung. Waschhaus, steht da, Gewächshaus und Leichenhaus. Und auf einem Areal, das sich fast deckt mit der Fläche, auf der sich heute der Mariannengarten befindet, steht „Obst-Garten“. Für die Gärtner der Beweis, dass sie mit ihrem Gemüsegarten ganz nah dran sind an der denkmalgerechten Nutzung.