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Archiv-Artikel

Den Hightechkrieg in Holz geschnitten

KUNST UND POLITIK In Reutlingen ist der Holzschnittzyklus „The Depravities of War“ des Künstlers Sandow Birk über den Irakkrieg zu sehen

Birk brauchte oft nur eine Kirche durch eine Moschee, einen Laubbaum durch eine Palme zu ersetzen

VON URSULA WÖLL

Die 15 monumentalen Holzschnitte auf handgeschöpftem Japanpapier messen je 1,22 mal 2,44 Meter. Sie zeigen die Gräuel und Verwüstungen des Irakkrieges. Der 1962 in Detroit geborene und in Kalifornien lebende Sandow Birk hat sie entworfen. Ihre Realisation im Druck, das wiederholte Kopieren, mit dem die Tuschezeichnungen des Künstlers vergrößert wurden, das Aufkleben dieser Vorzeichnungen auf die riesigen Birken-Sperrholz-Platten, das Schneiden der Druckstöcke, ihr Einwalzen mit Farbe und das Abreiben auf die aufgelegten Bogen des Japanpapiers, das alles war nur im Team möglich. Trotzdem dauerte es über ein Jahr, bis der Zyklus mit dem Titel „The Depravities of War“ (Die Verderbtheiten des Krieges) 2007 fertiggestellt war. Dabei hatten die Mitarbeiter der kleinen Hui-Press auf der Hawaii-Insel Maui Spielräume, so dass jedes Blatt eine gewisse individuelle Note aufweist.

Als Artist in Residence auf Maui, weitab vom Getriebe, entschied sich Sandow Birk, die alte Technik des Hochdrucks für seine Anklage des Krieges zu wählen. Ihm schienen die schroffen Schwarz-Weiß-Kontraste dem Thema angemessen. Seine Frau und Mitarbeiterin Elyse Pignolet steuerte die Idee der enormen Vergrößerung bei, so dass die Drucke noch eindringlicher wirken. Durch die entstehenden Unschärfen entsteht auch ein gewisser Verfremdungseffekt. Von Haus aus ist Sandow Birk Maler. Seine Themen fischt er aus dem reichen Vorrat gesellschaftlicher Missstände. Er beruft sich auf die traditionelle Rolle des Künstlers als moralische Instanz, als Chronist von Unmenschlichkeit und Gewalt.

Bevor sein Land 2003 den Irakkrieg begann, schuf der Künstler eine Gemäldeserie über die Zustände in den überfüllten kalifornischen Gefängnissen. Auch zum Irakkrieg entstanden zunächst Ölgemälde. Da sieht man etwa Bush auf einem orientalischen Teppich in Bomberform über das zerstörte und rauchende Bagdad fliegen, die Fackel der Freiheitsstatue in der Hand. Diese Gemälde sind zwar im englischsprachigen Katalog, aber nicht im Reutlinger Kunstmuseum Spendhaus vertreten.

Das Museum ist auf zeitgenössische Hochdrucke spezialisiert und zeigt auf zwei seiner fünf Ebenen die Arbeiten des Erneuerers des Holzschnitts, HAP Grieshaber, der auf der Achalm über Reutlingen sein Atelier hatte. Die 15 monumentalen Tafeln „The Depravities of War“ nehmen nun zwei weitere Ebenen ein. Sie werden von dem 18-teiligen Zyklus kleinformatiger Kupferstiche „Les Grandes Misères de la Guerre“ von Jacques Callot begleitet. Birk begann sich auf Hawaii für diesen barocken Kupferstecher zu begeistern, der für ihn dann zum künstlerischen Ideengeber für die eigene Serie wurde.

Callot hatte die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges in Lothringen erlebt und 1633 künstlerisch verarbeitet. Knapp 200 Jahre später wurde Francisco Goya durch ihn zu seinen „Desastres de la Guerra“ angeregt, und nun, wiederum 200 Jahre später, Sandow Birk zu seinen „Depravities of War“. Anders als seine historischen Vorbilder erlebte er diese nicht hautnah, sondern über die Medien. Die Leiden der Soldaten und der Bevölkerung, der wachsende Hass auf beiden Seiten, die Zerstörungen von Natur und Gebäuden sind aber über die Jahrhunderte dieselben geblieben. So konnte sich Birk eng an die thematische Gliederung Callots anlehnen. Überspitzt gesagt brauchte er oft nur eine Kirche durch eine Moschee zu ersetzen und einen Laubbaum durch eine Palme.

Sandow Birks Tableaus begleiten die US-Soldaten von ihrer Anwerbung mit dem Köder eines freien College-Besuches über den Transport bis zur Invasion des Landes. Obwohl man die Bilder der Gewalt bereits aus den Medien kennt, wirken die brennenden Ölfelder, die Toten auf beiden Seiten und die Erniedrigungen der irakischen Gefangenen in der kargen, aber kraftvollen Sprache des Holzschnitts äußerst eindringlich. Dem schnellen Konsum der elektronischen Bilder setzt Birk die – künstlerisches Bild und mahnendes Zeichen an der Wand gewordene – bleibende Erinnerung entgegen.

Gleich zwei Blätter widmet der amerikanische Künstler den Ungeheuerlichkeiten in Abu Ghraib. Auch Fernando Botero hat die Geschehnisse im Gefängnis von Abu Ghraib gestaltet. Er malte 2005 eine Reihe großformatiger Ölbilder, die detailliert die Quälereien und Erniedrigungen einzelner Gefangener zeigen. Sandow Birk dagegen erfasst die Szenerie wie durch ein Weitwinkelobjektiv. Wird Birk dem Thema eher gerecht? Oder Botero? Wirkt der agitatorische Gestus des „Nie wieder Krieg“ einer Käthe Kollwitz eindringlicher? Oder traf Peter Paul Rubens die bessere Wahl mit seiner allegorischen Darstellung „Die Folgen des Krieges“, die er fünf Jahre nach Callot malte? Das ist eben die Kunst: der mutige Versuch, das schwer Fassbare des Krieges fassbar zu machen.

■ Bis 3. Oktober, Kunstmuseum Reutlingen, Katalog 24 Euro