piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wie zwischen Materazzi und Zidane“

Israel wird die Hisbollah allein mit militärischen Mitteln nicht schlagen können, sagt der Politologe Herfried Münkler. Durch den Libanon-Krieg werden die Karten in Nahost aber neu gemischt. Dann erst hat die Diplomatie eine Chance

taz: Herr Münkler, Sie haben die Europäer nach den Terroranschlägen von Madrid und London zu „heroischer Gelassenheit“ aufgerufen. Hätten auch die Israelis nach den jüngsten Attacken der Hisbollah gelassener reagieren sollen?

Herfried Münkler: Der Unterschied ist, dass es sich bei der Hisbollah nicht um eine vollkommen anonymisierte Gruppe handelt, die militärisch nicht fassbar ist. Sie hat zwar eine terroristische Ausprägung, tritt aber auch als politische Partei auf und ist mit Ministern in der libanesischen Regierung vertreten. Insofern ist heroische Gelassenheit hier sicher nicht abzuverlangen.

Bleibt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der israelischen Reaktion.

Die israelische Armee versucht, Infrastruktur zu zerstören, um die Bewegungsmöglichkeiten von Hisbollah-Kämpfern zu blockieren. Und sie greift vermutete Stellungen an, wobei diese Stellungen teilweise in Dörfern oder unter Häusern eingegraben sind.

Die asymmetrische Kriegführung der Hisbollah ist immer auch darauf angelegt, dass Israel reagieren muss – und dass es sich dann ins Unrecht setzt, weil der Krieg immer auch Zivilbevölkerung trifft. Das ist die Strategie der Provokation, wie wir sie kürzlich in einem ganz anderen Zusammenhang zwischen Materazzi und Zidane beobachten konnten.

Wie bitte?

Der vermeintlich Schwächere provoziert, und wenn der Stärkere dann zurückschlägt, steht er am Pranger – weil sich seine Reaktion medial aufbereiten lässt. Als es Israel noch mit einer geschlossenen Front der arabischen Staaten zu tun hatte, war es selbst in der Position eines David, und die Araber waren Goliath. Schon Arafat, aber jetzt auch die Hisbollah haben es geschafft, das umzukehren.

Kann man Terrorismus überhaupt militärisch besiegen?

Es kann hier keine debellatio geben, dass also ein Gegner geschlagen und zur Kapitulation gezwungen wird. Das scheint den Israelis auch klar zu sein. Bestenfalls können sie die militärische Angriffsfähigkeit der Hisbollah für eine gewisse Zeit zerschlagen.

Israel und die USA wollen einem Waffenstillstand nur zustimmen, wenn er auf eine dauerhafte Friedenslösung angelegt ist. Geht das überhaupt?

Es ginge nur, wenn man eine internationale Truppe dauerhaft im Südlibanon stationiert. Sie müsste die Hisbollah entwaffnen und sicherstellen, dass sie sich nicht wiederbewaffnet. Es ist völlig klar, was das für eine Art von Einsatz wäre. Deshalb sind Deutsche und Franzosen zwar dafür. Aber wenn es darum geht, wer die Truppen stellt, ziehen sie den Kopf ein.

Deutschland kann sich dabei auf gute historische Argumente berufen.

Ja, das kann es nach wie vor. Aber das löst natürlich das Problem nicht.

Das heißt, Sie halten das für ein Entlastungsargument?

Das würde ich schon sagen. Da kommt die deutsche Schande der Politik einmal zugute. Sie kommt relativ einfach aus einer Zwickmühle heraus.

Einmarsch und Stationierung einer internationalen Truppe: Dieses Rezept wurde in Afghanistan und im Irak schon ausprobiert – mit eher mäßigem Erfolg. Warum sollte es im Libanon funktionieren?

Das Gebiet ist sehr viel kleiner und dadurch leichter kontrollierbar. Im Unterschied zu Afghanistan kommt allerdings das Problem hinzu, dass sowohl Syrien als auch der Iran dabei von ferne mitspielen.

Warum ist es dann nicht zu dem befürchteten Flächenbrand gekommen?

Man kann sicher sein, dass die Israelis die Situation im Nahen Osten kompetenter beurteilen als manche Beobachter in Deutschland, die in solchen Zusammenhängen grundsätzlich vom Flächenbrand sprechen – und keine Vorstellung davon haben, dass der militärische Apparat zumindest gelegentlich und mit einer kurzfristigen Perspektive ein Lösungsinstrumentarium für Probleme sein kann.

In Ihrem Buch über Imperien schreiben Sie, dass nur fließende Grenzen stabil sein können. Wird man im Nahen Osten jemals auf Mauern und Schutztruppen verzichten können?

Im Augenblick sieht es nicht so aus. Aber derartige Grenzziehungen können nur eine Übergangslösung sein, weil sie zumindest auf einer Seite der Mauer zu Druck und Hass führen – und auf diese Weise den Krieg führenden Parteien immer wieder junge Leute zuführen.

Die israelische Politik der einseitigen Grenzziehung ist also zum Scheitern verurteilt?

Sie baut den Hass sicherlich nicht ab und führt auch nicht zu einem wachsenden Verständnis für Israel in der arabischen Welt.

Andererseits fällt es schwer, sich Alternativen vorzustellen. Israel ist aus dem Gaza-Streifen mit der Erwartung abgezogen, dass sich die Palästinenser dort verantwortlich selbst regieren können. Die Palästinenser zahlen den Vorschuss, den man ihnen gewährt, nicht zurück. Unter diesen Umständen gewinnen die Falken in Israel immer wieder die Oberhand, weil sich die Erwartungen der Tauben als nicht belastbar erweisen.

Die USA halten sich derzeit auffallend zurück. Warum?

Eigentlich müssten die USA aus der Handlungslogik eines Imperiums heraus permanent agieren. Nachdem Bill Clinton mit seinem Vermittlungsversuch im Nahen Osten gescheitert ist, hat George W. Bush allerdings versucht, sich aus allem herauszuhalten und die Dinge laufen zu lassen. Das hat dazu geführt, dass eine Reihe von Konflikten eskaliert sind.

Ohne USA kann es also keine Friedenslösung geben?

Davon bin ich überzeugt. Die Europäer können diese Rolle nicht spielen. Dafür sind sie zu schwach und zu unentschlossen.

Kann endloses Verhandeln manchmal nicht besser sein als eine Lösung um jeden Preis?

Für die Opfer des aktuellen Konflikts wäre es besser gewesen, ja. Mittelfristig kann es aber durchaus sein, dass militärische Konfrontationen und Gewaltereignisse die Karten neu mischen. Wenn beide Seiten auf Siegfrieden setzen, dann müssen sie zunächst die Erfahrung machen, dass sie damit nicht durchkommen. Erst dann hat die Diplomatie wieder eine Chance.

Was heißt das im Libanon?

Dass die auf diese Auseinandersetzung glänzend vorbereitete Hisbollah womöglich die Erfahrung macht, dass sie bei allen taktischen Erfolgen doch strategisch unterliegen wird. Und dass unter diesen Umständen die Bereitschaft wächst, eine relativ stabile Lösung ohne permanente Provokation Israels zu suchen.

Anders als „Friedenskanzler“ Gerhard Schröder hält sich Angela Merkel mit öffentlichen Äußerungen sehr zurück. Ist das ein Fehler?

Auch der gepriesene Vermittler Joschka Fischer hat im Nahen Osten keine belastbaren Ergebnisse erzielt. Die Ergebnisse waren so kurzfristig wie der militärische Vorstoß einer Panzereinheit. Angela Merkel schätzt die begrenzten Möglichkeiten, die Deutschland hat, wohl realistisch ein. Mit großen Sprüchen ist hier sowieso nichts zu holen.

Und die Aufforderung zum sofortigen Waffenstillstand durch das SPD-Präsidium?

Das ist kein Beschluss, der irgendeine außenpolitische Relevanz hat, sondern eine Verbeugung vor bestimmten Teilen der SPD-Wählerschaft.

INTERVIEW: RALPH BOLLMANN