: Die Integration der Muslime hat gerade erst begonnen
Der Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen in Europa ist alt, bekommt nun aber eine neue Dimension: Die dänische Politologin Jytte Klausen befragt dazu „Europas muslimische Eliten“
Der Titel führt etwas in die Irre. „Europas muslimische Eliten“ hat die dänische Politologin Jytte Klausen untersucht und dafür 300 Wortführer befragt. Gemeint sind damit aber nicht nur religiöse Autoritäten des Islam in Europa wie der Reformtheologe Tariq Ramadan. Gemeint sind damit Aktivisten und Politiker wie Cem Özdemir oder sogar Ayaan Hirsi Ali, die zwar aus muslimischen Ländern stammen, aber mit der Religion nicht unbedingt viel am Hut haben.
So erfährt man in dieser Studie nur wenig über die religiösen Diskurse und die politischen Strömungen des Islam in Europa, was sicherlich spannend gewesen wäre. Hier kommt die Autorin nur zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass die meisten Muslime „weder den Umsturz der liberalen Demokratie noch die Ersetzung des säkularisierten Rechtsstaats durch das islamische Recht, die Scharia“ planen. „Die überwiegende Mehrheit der Muslime ist säkular eingestellt und unterstützt die Grundwerte individueller Freiheiten sowie die Trennung von Religion und Politik“, so Jytte Klausen. Das mag schon sein, aber über die Minderheit hätte man gerne etwas mehr erfahren.
Dafür bekommt man in dieser Studie einen guten Überblick über die Befindlichkeit der gut 15 Millionen Menschen, die einst aus muslimischen Ländern nach Westeuropa eingewandert sind, sowie den Grad ihrer Integration in den jeweiligen Aufnahmegesellschaften. Denn die Konfliktlinien ähneln sich quer durch den Kontinent, auch wenn sich die Gemengelage von Land zu Land sehr unterscheidet.
Durch den Zuzug der Muslime in Europa bekomme der alte europäische Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen eine neue Dimension, so eine Hauptthese von Jytte Klausen. Denn dass Europa schon weitgehend säkularisiert sei, ist ein verbreiteter Trugschluss. „Europäer sind an die staatliche Unterstützung ihrer Religion gewöhnt.“ Neu seien für sie aber die Forderungen und Verpflichtungen gegenüber den Muslimen, die sich aus der Neutralität des Staates in Religionsdingen ergeben. In diesem Rahmen müsse man die Debatten um das Kopftuch, das rituelle Schächten, um Moscheebauten und die Ausbildung der Imame sehen.
Tatsächlich ist die christliche Religion trotz rückläufiger Kirchenbesuche ja nicht aus Europa verschwunden, im Gegenteil: Als die EU-Verfassung entworfen wurde, plädierten Delegierte aus Polen, Deutschland, Italien und der Slowakei für eine Bezugnahme auf „Gott“ und „christliche Werte“. Abgeordnete aus Griechenland, Dänemark und Irland wollten darin sogar die Privilegierung der christlichen Kirchen festschreiben. Historisch gesehen ähnele der Kampf um die Gleichberechtigung des Islam in Europa daher den Auseinandersetzungen um die Anerkennung des orthodoxen Judentums, so Jytte Klausen. Die heutigen Probleme beruhen ihr zufolge vor allem auf der „wohlwollenden Vernachlässigung“ der Muslime in der Vergangenheit. Aufgrund dieser Versäumnisse teilt die Mehrheit der von ihr befragten Funktionäre eine düstere Einschätzung der Lage. Besonders diskriminiert fühlten sich die Muslime in Deutschland und Großbritannien, die schwedischen Muslime zeigten sich in ihren Interviews noch am zufriedensten. Gründe für die Unzufriedenheit waren fremdenfeindliche Parteien sowie die Berichterstattung der Medien, die Zweifel an der Loyalität der Muslime säen. Ganze 80 Prozent kritisierten die Ignoranz der Presse, die die Islamophobie schüre, die irrationale Angst vor Muslimen.
Ein Gegengewicht dazu bilden die Muslime als Lobby bislang nicht. Außer in Städten wie Berlin oder Rotterdam sowie mancherorts in Großbritannien fallen sie als Wähler einfach noch nicht ausreichend ins Gewicht. Aufgrund restriktiver Einbürgerungsgesetze besitzen lediglich 10 bis 25 Prozent der Muslime in Europa das Wahlrecht, nur in Großbritannien und den Niederlanden sind es mehr als die Hälfte. In Deutschland sind von 3,2 Millionen Muslimen nur 500.000 eingebürgert und im wahlberechtigten Alter. Das könnte sich in Zukunft ändern, mahnt Jytte Klausen.
Der Kampf um Integration oder Ausschluss der Muslime in Europa hat daher gerade erst begonnen. Erste Schritte zu einer inländischen Imam-Ausbildung gibt es bereits in Frankreich und den Niederlanden. In Dänemark dagegen war es aufgrund des Staatskirchen-Monopols bislang schon schwer, überhaupt nur einen islamischen Friedhof einzurichten. Auch der Umgang mit dem Kopftuch variiert stark: Während es in Großbritannien sogar Polizistinnen und Krankenschwestern erlaubt ist, wurde in Dänemark einer Kassiererin deshalb rechtskräftig gekündigt. Eine Konsequenz der Kopftuchdebatte in Europa ist, dass es vor allem im Niedriglohnsektor immer mehr verdrängt wird. Die eilig verabschiedeten Kopftuchverbote in diversen Bundesländern dagegen, ahnt Jytte Klausen geradezu prophetisch, könnten sich „im Ergebnis noch nachteilig für die christlichen Symbole an staatlichen Schulen auswirken“. Das jüngste Urteil in Baden-Württemberg weist in diese Richtung: Wenn es Nonnen gestattet sei, in Ordenstracht zu unterrichten, dürfe einer muslimischen Lehrerin das Kopftuch nicht verboten werden, urteilten die Richter. DANIEL BAX
Jytte Klausen: „Europas muslimische Eliten. Wer sie sind und was sie wollen“. Aus dem Englischen von Alexandra Hennessy. Campus Verlag, Hamburg 2006, 308 Seiten, 29,90 Euro