: Kontrolliert außer Kontrolle
Vor vier Jahren kam Hannah Dougherty von Baltimore nach Berlin, hing mit Musikern ab und entwickelte ihre sehr eigene Weird-Folk-Kunst aus Vogelhäuschen und Fabelwesen. Jetzt stellt der Jungstar in der Berlinischen Galerie aus. Ein Porträt
VON SEBASTIAN FRENZEL
Drei Vogelhäuser stehen auf hohen Pfosten im Raum. Sie sind Teil von Hannah Doughertys „Gartenhausprojekt“ in der Berlinischen Galerie. Am Eröffnungsabend hatten die Besucher zunächst noch in die Löcher reingeschaut, ob es da was zu sehen gibt. Vergebens. Irgendwann schienen die Vogelhäuschen aus ihren Zyklopenaugen zurückzublicken, wirkten wie ein Familienporträt von einäugigen, Pinocchio-nasigen Wesen: Vater rechts, Mutter links, daneben das etwas kleinere Kind.
Vogelhäuschen haben es Hannah Dougherty angetan, schon in früheren Arbeiten der 26-Jährigen tauchen diese Gartenaccessoires auf. Der Grund dafür ist erstaunlich naheliegend: Vogelhäuschen erzählen von den absurden Domestizierungsversuchen des Menschen. Sie erzählen vom Willen, den Traum vom Eigenheim auch solchen Kreaturen aufzuerlegen, die ganz gut ohne ein Dach über dem Kopf auskommen. Die Spießeridylle perfekt machen zwei Schreberhäuschen, die das Hauptstück der Ausstellung bilden und ein Pendant zu den Vogelhäusern sind: Einerseits wollen wir hinaus in die „wilde“ Natur, andererseits wünschen wir uns auch dort nichts mehr als ein schützendes Dach über dem Kopf.
So weit, so lustig, aber auch so vorhersehbar: Selbst unsere Wunschwelten sind noch bieder. Mehr als von dieser Kritik am Spießertum leben Doughertys Arbeiten denn auch vom Charme aufrichtiger Faszination. „Gartenhäuschen sind schrecklich. Aber ich finde sie auch ganz toll. 2,5 Meter mal 2,5 Meter – aber für die Menschen ist es wie ein Schloss“, sagt die Amerikanerin und strahlt.
Die scheinbar naive Begeisterung ist Doughertys großes Plus. Ihre Installationen erzählen Geschichten, denen man aufmerksam zuhören kann und die man freimütig weiterspinnen darf. Das gilt für die Vogelhäuschen, die wie Familienporträts wirken. Oder die einen an René Magritte denken lassen, der in seinen Porträts die Gesichter durch Vogelkäfige ersetzte. Und das gilt mehr noch für die Gartenhäuschen, deren Inneres wie eine surrealistische Kita wirkt: Ein Kojote und ein Motorrad sind an die Wand gemalt, drumherum schwirren bunte Farbkreise. Aus einer Wolke fallen Regentropfen: mal als reliefartige Holzstücke, mal als blaues Farbrinnsel, das sich zu Tropfen verdichtet hat.
Auch hier gerät man in einen Strudel von Geschichten. Ein gezeichneter Kentaur erstreckt sich über eine Wand – Bildungsbeflissene mögen an Ovids Metamorphosen denken. Doch Dougherty spielt hier auf die mythische Gestalt des John Henry an, eines schwarzen Sklaven, der im 19. Jahrhundert aufgrund seiner enormen Kräfte Gegenstand vieler Legenden und Lieder war. Nur passend, dass die mit Bleistift gezeichnete Figur an die American-Primitive-Kunst erinnert.
Bei Dougherty geht das zusammen: Sie bedient sich für ihre Collagen in der amerikanischen und irischen Folklore ebenso wie in der Mythologie von Old Europe, bei kunstgeschichtlichen Vorläufern ebenso wie im Baumarkt, wo sie die Gartenhäuser erwarb. Cut-up-Verfahren und Graffitis lassen an Street Art denken, ausgestopfte Rehe an Gelsenkirchener Barock. Ein gemaltes Straßenschild schließlich zeigt die Kreuzung „Schlesische Straße/An der Schleuse“ an: ein Richtungsweiser – auch für das Verständnis ihrer Kunst.
Vor vier Jahren ist Hannah Dougherty nach Berlin gekommen, sie hatte gerade ihr Kunststudium in Baltimore beendet und hatte Lust auf eine neue Umgebung. „Mein Bruder sagte, Berlin sei cool“, also zogen die beiden hierher, „ohne jemanden zu kennen und ohne ein Wort Deutsch zu können“. Anschluss haben sie in der Stadt schnell gefunden: Ihr Bruder ist Musiker, er spielt mit Kevin Blechdom, Jamie Lidell oder Vertretern der New-Weird-Folk-Szene, die seit einiger Zeit rund um die Schlesische Straße in Kreuzberg unterwegs sind. Dort, in der Fabrik am Flutgraben, befindet sich auch Hannah Doughertys Atelier.
Was die Künstlerin über die Freundschaft hinaus mit all diesen Musikern verbindet, ist der unbedarfte Verweis auf Naturmythen und Folktraditionen ebenso wie der improvisierte, unvollendete Charakter ihrer Arbeiten. Meiden Musiker wie Devendra Banhart die klangliche Perfektion von Studioaufnahmen und nehmen ihre Stücke mitunter lieber mit dem Anrufbeantworter auf, so sagt Dougherty: „Manchmal tut es richtig weh, wenn man seine Bilder an so einer weißen Museumswand sieht. Man hat das Bild im Atelier gemalt, und in der Galerie ist dann alles so sauber, es riecht nicht wie im Atelier, es ist anders beleuchtet …“ Die Gartenhäuser kann man als Schutzhülle für Doughertys Kunst verstehen: Lieber etwas hölzerne Do-it-yourself-Ästhetik als die Sauberkeit des White Cube.
Den Arbeiten verleiht die Freude am Unfertigen eine raue Schönheit und eine angenehme Mischung aus Intimität und entrücktem Charme. „Irgendwie geht es vielleicht darum, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen Kontrolle und Außer-Kontrolle“, sagt Dougherty. „Ich denke, dass man sich als Künstler ruhig zurücknehmen kann. Die Zuschauer sind eh klug genug, da kann man das Werk offen halten und ein Stück weit ihnen überlassen.“ Das klingt nicht so, als strebe Dougherty den Posten eines neuen Malerfürsten an.
Eher schon steht Dougherty für eine andere, jüngere Künstlergeneration. Das Verhältnis von Menschen und Natur spielt in ihren Arbeiten eine große Rolle, doch ist sie weit entfernt von den romantischen Öllachen, der Melancholie und Innerlichkeit der Leipziger Schule. Es taucht kein einziges Gesicht in Doughertys Kunst auf. „Menschen malen finde ich langweilig. Wenn es einen Menschen oder ein Gesicht im Bild gibt, wird man als Betrachter faul, denn man erkennt es sofort und kann sich daran festhalten.“
Dougherty schafft offene Kunstwerke, die jung, lustig und frei von bierernster Hermetik sind. Sie ist klug genug, das Geschichtenerzählen ihren Objekten zu überlassen: plakativ und poetisch und mit Mut zu Brüchen. Selten hat eine Spießeridylle so frisch gewirkt wie in ihrem „Gartenhausprojekt“.
Bis 15. Oktober 2006, Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128.