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Archiv-Artikel

10 TAGE LANG EIN FRISCH GEDUSCHTER MITARBEITER DER WIRKLICHKEIT Das Ende des Winter-Lows

Draußen im Kino

VON DETLEF KUHLBRODT

Die Berlinale ist so ähnlich wie Weihnachten, erst hat man Angst davor, ist furchtbar gestresst; beruhigt sich mit einem „ist ja noch lange hin“. Doch dann ist sie plötzlich da. Und alles ist anders. Statt jeden Tag zu Netto-ohne-Hund geht man nun jeden Tag zum Potsdamer Platz. Statt das Weckerhandy zu zertrampeln und weiter zu träumen, steht man um sieben auf. Die Filmfestspiele beenden jedenfalls das Winter-Low, die Zeit zwischen den Jahren, die irgendwann Mitte Dezember begann. Zehn Tage lang fühlt man sich nun wie ein festangestellter und frisch geduschter Mitarbeiter der Wirklichkeit.

Gespielte schlechte Laune

Mit klopfendem Herzen fährt man am Mittwoch das erste Mal wieder zum Potsdamer Platz, stellt das Fahrrad ab, geht in dies Hotel, wo’s die Akkreditierungen gibt, sieht Leute, die man schon viele Jahre vom Sehen her kennt, ohne ihre Namen zu wissen. Ich beobachte einen Kollegen beim Älterwerden; wir kennen uns zu diffus, um einander zu grüßen, aber ich sehe ihn immer auf der Berlinale, seit zwanzig Jahren; wie er älter wird, die Schritte vorsichtiger werden, wie das Gesicht wieder etwas fülliger wird und Richtung Alter geht. Und er nimmt mich im Vorbeigehen vermutlich ähnlich wahr.

Grad eben, als man weg zum Potsdamer Platz fuhr, war man noch schlechter Laune; nun, in der Schlange am Akkreditierungsschalter beginnt man die schlechte Laune zu spielen, hat aber noch niemanden gefunden, dem man mit stetig besser werdender Laune die schlechte Laune vorspielen kann.

Dann kommt einem S. vom Tagesspiegel entgegen, eine total nette Kollegin, mit der man auch in Leipzig, beim DOK-Filmfest rumgerannt war. Wir gucken uns an und verdrehen die Augen. „Schon wieder Berlinale …“ – „Oh nee …“ – „Als wäre es gestern gewesen.“ – „Es war gestern.“

Während an den Kulissen noch gewerkelt wird, geht man in den Keller des Berlinale-Palastes, um sich die offizielle Berlinale-Tasche zu holen. Kaum jemand ist da. Kurz bin ich irritiert, weil der Counter woanders steht. Ich sage, „der Counter steht ja jetzt woanders“ und die Frauen hinter dem Tresen antworten: „Nein, der stand letztes Jahr auch schon hier.“

Aber davor hatte er viele Jahre eben ein Stückchen weiter dahinten gestanden! Warum steht der da nicht mehr, denke ich, was soll das? Und freue mich über meine Altersschrullen. Und lasse mir die aktuelle Edition der offiziellen Berlinale-Tasche geben. Früher waren die Taschen oft großartig; es gab blaue, viele rote, eine beige, eine schwarzlackglänzende SM-Tasche, eine sehr große Gummitasche zur 60ten und dann diese tolle rote Tasche mit den vielen Punkten. Die vom letzten Jahr war billig und sofort kaputt gegangen, als ich mit ihr ein paar Bier transportieren wollte; die diesjährige Berlinale-Tasche erinnert einerseits an Fahrradkuriertaschen, andererseits an Müllbeutel; auf jeden Fall scheint sie sehr stabil zu sein.

Im Innern der Tasche ist ein kleines Schild, auf dem nicht steht, wie die Tasche gewaschen werden will, sondern dass sie von einer Dresdener Firma für Audi gefertigt wurde.

Audi ist einer der Hauptsponsoren. Überall stehen schwarzglänzende Audis herum, die vermutlich 300 km/h schnell sind, aber hier eher Schrittgeschwindigkeit fahren. Irgendwie sehen diese Audis aggressiv aus. Sie schieben sich so in den Vordergrund. Bildkompositorisch können eigentlich nur leicht bekleidete Models neben ihnen bestehen. In Filmen mit viel Action machen diese Audis sicher was her; in stilleren Filmen würden sie deplatziert wirken. Wenn man drinnen sitzt und mit 240 über die Autobahn düst und dabei Krachmusik hört, ist das sicher schön; von außen wirken sie eher gebieterisch, Respekt einflößend, reich, kaltherzig, angeberisch. Autos, mit denen man keine Witze macht. (Der Hybrid ist reine Hybris!)

Ich bin diese Audis auch oft mit der Playstation gefahren; sie sind sehr stark und zuverlässig und liegen auch bei 280 km/h noch sicher auf der Straße; die Ginetta zum Beispiel aus den 60er Jahren sieht aber viel besser aus! Und die Audis aus den 70ern und 80ern sind mir auch sympathischer. Schön ist aber, dass es eine Audi-Lounge gibt, in der man morgens umsonst Kaffee mit Croissants bekommt.