: Eine Tobewelt für die Kinder der DDR
FDJ-FRIEDENSKONZERT Vor zwanzig Jahren wurde in Weißensee für kurze Zeit wahr, was sich Generationen von DDR-Jugendlichen ersehnt hatten: Konzerte mit westlichen Rockstars, die man ohne große Umstände sehen konnte
VON GUNNAR LEUE
Heute, am 14. August, gibt’s in Weißensee eine „Böhse-Onkelz-Nacht mit Dirk und Durstig“. Den Programmtipp entdeckte ich auf einem Plakat an der Rennbahnstraße beim Warten an einer Ampel. Böhse-Onkelz-Partys sind inzwischen wohl noch beliebter als Depeche-Mode-Partys, dachte ich noch beim Weiterfahren. Da sah ich plötzlich den verwahrlosten Eingangsbereich zur alten Radrennbahn. Ich überlegte, wann ich das letzte Mal hier gewesen war.
Was soll ich sagen, die Recherche zeigt: Es war am 14. August 1990, vor zwanzig Jahren. An dem Tag spielten die Rolling Stones den zweiten Tag hintereinander auf dem Rennbahngelände. Es handelte sich um ihre einzigen Auftritte in der DDR.
Eine Zeit lang galten die Stones in der DDR als die bösen Onkels der westlichen Rockkultur. Als sie in Weißensee aufkreuzten, waren sie jedoch längst brave Großunterhalter. Und auch sonst kamen sie ein bisschen spät, um noch eine echte Sensation zu sein. Hatten sie doch schon ein paar Wochen vorher im Olympiastadion gespielt – ihr erstes Ostkonzert, wenn man so will. Jedenfalls war ich nur einer von sehr, sehr vielen Ossis im Olympiastadion, die sich endlich den Traum eines Stones-Konzerts erfüllten. Die 55 D-Mark fürs Ticket aufzutreiben, war kein Problem, da die Währungsunion unmittelbar bevorstand und Kreditwürdigkeit gewährte.
Wie bei einem Konzert mit tiefer persönlicher Legendenprägung üblich, kann ich mich kaum an Einzelheiten erinnern. Es war ein von Erlösungsfreude und Alkohol gepushter Rausch. Beim Konzert neun Wochen später in Weißensee hatte sich dieser Erregungszustand, der so viele Ostlerseelen verband, bei mir bereits verflüchtigt. Weißensee war für mich fast wieder nur Name eines Stadtbezirks. Heute bleibt er Ausdruck für ein Zeitgefühl. Hier wurde für kurze Zeit das Wirklichkeit, was sich Generationen von DDR-Jugendlichen ersehnt hatten: Konzerte mit westlichen Rockstars, die man ohne große Umstände sehen konnte.
Zwar hatte es in der DDR immer mal vereinzelte Konzerte von Westbands gegeben. Aber wer keine Beziehungen hatte, so wie ich als Nichtberliner, erfuhr oft erst hinterher davon. Da suchte ich mein Glück lieber in der Volksrepublik Ungarn. Dort gab es neben bezahlbaren Westschallplatten häufig auch Konzerte mit Westbands, in die man leicht hineinkam. Mein erstes echtes Westkonzert war daher Jethro Tull in Budapest. Als ich 1987 aus Ungarn zurückkam, erfuhr ich, dass Barclay James Harvest inzwischen im Treptower Park gespielt hatten.
Ich hatte Barclay James Harvest live verpasst und, ja, ich ärgerte mich. Klar stand ich viel mehr auf Zeppelin, Bowie oder Dylan. Aber erstens war selbst ein Open Air mit BJH eine Sensation, zweitens Led Zeppelin aufgelöst und drittens Bob Dylan praktisch schon auf dem Weg.
„Bob Dylan – Friedenskonzert der FDJ“, las ich über einer winzigen Meldung in der Jungen Welt. Meine erster Gedanke war: Die FDJ veranstaltet ein Friedenskonzert, bei dem Dylan-Songs gespielt werden. Vergiss es! Es stellte sich aber heraus, dass der echte Dylan gemeint war. Und ich konnte ihn mit 70.000 anderen Ungläubigen im Treptower Park für lächerliche 10 Mark erleben. Dafür bekam man obendrein Tom Petty und Roger McGuinn zu sehen. Hinterher traute man sich nicht, das Konzert scheiße zu finden. Dabei hatte Dylan es einem nicht schwer gemacht.
Immerhin, bei der FDJ war jetzt der Bann gebrochen. Fortan sollte es noch mehr Weststars fürs junge Ostvolk geben, nur nicht so dicht an der Grenze. Am 1. Juni 1988 spielte Joe Cocker vor 80.000 in Weißensee (ich sah ihn in Dresden), kurz darauf Fischer Z, Marillion, James Brown und so weiter. Die einheimischen Vorbands – City, Dirk Zöllner, NO55 – bekamen den angestauten Frust über den Ostrock zu spüren. Das fand ich zwar peinlich, aber mein Mitleid hielt sich in Grenzen. Dann kündigte sich Bruce Springsteen an, was die Entgeisterung über das, was auf einmal ging, noch steigerte.
Natürlich merkte jeder, dass die Karawane der Westrocker vor allem zur Beschwichtigung der frustrierten Jugend ins Land gelassen wurde. Es brachte auch keinen Imagegewinn für die Obrigkeit, denn angesichts der reibungslos ablaufenden Konzerte fragte man sich erst recht, wo eigentlich vorher das Problem gewesen war?
Ganz klar, neben der Angst vor der unkontrollierbaren Menge waren es die fehlenden Devisen für die Bezahlung der Künstler. Kein Wunder, dass die in der Hinsicht nie kompromissbereiten Rolling Stones erst nach der Währungsunion in Weißensee landeten. Ihre Gigs – der zweite war schon nicht mal mehr ausverkauft – bildeten nur noch den Abschluss der kurzen Ära von Weißensee als Pilgerstätte vieler DDR-Rockfans. Auf dem einstigen Konzertgelände steht jetzt eine „Tobewelt“ für Kinder. Ansonsten herrscht nun wieder Ruh’, wo die DDR einstmals die größte offizielle Tobewelt für jugendliche Rockfans eingerichtet hatte.