Müssen Linke bio essen?
JA

EINKAUF Öko-Produkte gehören zur gängigen Vorstellung von linkem Lebensstil. Andererseits: Pestizide essen schließt kein soziales Gewissen aus

Klaus Ernst, 55, ist Gewerkschafter und Vorsitzender der Partei Die Linke

Alle Menschen sollten bio essen. Wer bio kauft, kauft cleverer, weil er weniger Pestizide und Schadstoffe konsumiert. Aber: Alle Menschen sollten es sich auch leisten können, bio zu essen. Entsprechend heißt linke Politik, dafür zu sorgen, dass alle Menschen über ein Einkommen verfügen, das ihnen überhaupt die Wahl ermöglicht. Ansonsten wird der Wocheneinkauf im Bioladen für viele unbezahlbar. Es gibt weitere Schritte auf dem Weg zu einer vernünftigeren Produktion von Nahrungsmitteln. Jede und jeder sollte auf dem Wochenmarkt einkaufen, anstatt zum Discounter zu gehen. Das stärkt regionale Kreisläufe und unterstützt die Entwicklung im ländlichen Raum. Saisonale, regionale Produkte sind immer eine gute Alternative. Neben bio stellt sich für mich aber auch die Aufgabe, fair produzierte und fair gehandelte Nahrungsmittel zu fördern. Nur wenn Landwirte von ihrem Lohn auch sich und ihre Familie versorgen können, kann ich mit gutem Gewissen ihre Produkte genießen. Daher kann ich auf die Frage antworten: nicht nur bio, sondern vor allem auch fair.

Till Westermeyer, 35, Umweltsoziologe, hat den Streit in seinem Blog kommentiert

Wer im 21. Jahrhundert behauptet, links zu sein, aber seinen persönlichen Lebensstil nicht für ein Politikum hält, hat etwas verpasst. Allerdings gibt es keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Links-Sein und Bio-Konsum. Sonst wäre die Umweltbewegung in den 1970ern nie in Schwung gekommen, hätten sich die Grünen nicht – ganz klar auch gegen „linke“ Gruppen und Parteien – mit Erfolg gegründet. Die „ökologische Frage“ ist eben nicht durch Rütteln am Verhältnis von Kapital und Arbeit zu lösen. Diese Erkenntnis ist unbequem, weil damit immer auch das Hier und Jetzt der eigenen Praktiken angesprochen sind.

Es gibt auch heute „Porsche“-Linke, denen Ökologie habituell wie politisch egal ist, genauso wie Bio-Käufer ohne jedes Interesse an sozialer Gerechtigkeit. Vernünftig ist beides nicht. Die großen Fragen bestehen ja weiter. Wer eine bessere Welt will, muss links und ökologisch zugleich sein, muss nicht nur Bio kaufen, sondern beispielsweise auch dafür kämpfen, dass alle Menschen sich das leisten können, ohne neue Ausbeutungsverhältnisse zu produzieren.

Manuel Pick, 40, ist im Vorstand des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren BNN

Wenn links sein bedeutet, Wirtschaftskreisläufe anders zu begreifen, als sie es derzeit werden, ja! Denn bei konsequent umgesetztem Bio geht es nicht nur um die ökologische Erzeugung der Primärrohstoffe, sondern um eine Wirtschaftsweise, die Nachhaltigkeit auch auf den Umgang mit Mitarbeitern bezieht, die in ihren Handelspartnern nicht ausschließlich Profit-Center sieht, die bei der Verwendung der erwirtschafteten Mittel auch den ökosozialen Ursprungsgedanken der Bio-Bewegung weiter verfolgt. Es geht um nicht weniger als den Umbau der Lebensmittelwirtschaft zu einem System, das den zukünftigen Herausforderungen wie Klimawandel, Welternährung und Verlust der Bio-Diversität gerecht werden kann. Im Lebensmitteleinkauf tut sich ein Arbeitsfeld auf, in dem politisches Denken und Fühlen leicht in den Alltag integriert werden kann. Dabei ist die politische Ausrichtung eines Menschen vielleicht gar nicht der ausschlaggebende Impuls für den Einkauf im Bio-Laden, sondern vielmehr der gesunde Menschenverstand. Und der ist oft auch bei Menschen anderer politischer Herkunft zu entdecken.

NEIN

Gerald Wehde, 48, ist Leiter der Fachstelle Agrarpolitik beim Verband Bioland e. V.

Genau wie andere Menschen müssen Linke nicht bio essen. Dennoch gibt es gute Gründe, ihnen zu empfehlen, sich mit dem Gedanken einer biologischen Ernährung zu beschäftigen. Wer links denkt, dem stünde eine ökologisch bewusste Lebensweise gut zu Gesicht. Denn als Linker ist er solidarisch mit den Menschen, die weniger wohlhabend sind. Verschlechterungen der Umwelt treffen diese Bevölkerungsteile in der Regel härter als wohlhabende Schichten. Solidarisch sein bedeutet, sich ökologisch zu engagieren. Eine Möglichkeit ist, bio zu essen. Links sein heißt immer noch, sich gegen die verheerenden Auswüchse des Kapitalismus zu stemmen. Links denken heißt sich gegen ein Landwirtschaftsmodell zu wehren, das vom Profit multinationaler Konzerne bestimmt ist. Sie versperren der bäuerlichen Gesellschaft fortschreitend den Zugang zum Land, kontrollieren Wasser, Saatgut, genetische Vielfalt, Wissen und Lebensmittel. Das Gegenmodell kann nur eine selbstbestimmte bäuerliche Landwirtschaft sein, die von kapitalistisch-industriellen Strukturen unabhängig ist. Die biologische Landwirtschaft kann dabei ein Leitbild sein.

Michael „Bommi“ Baumann, 62, ist Buchautor und war Mitglied der „Bewegung 2. Juni“

Links hieß doch immer, dass alle satt werden müssen. Wie, das ist dabei unwichtig. Es ist sowieso Luxus, sagen zu können, ich ernähre mich so oder anders. Die Frage ist doch eher: Wer kann sich denn ökologische Produkte leisten? Die Reichen und die Yuppies aus der Oberklasse. Es war immer Sache der kleinbürgerlichen Schicht, vegetarisch zu essen, während die Proletarier andere Sorgen hatten, als sich um gesunde Ernährung zu kümmern. Politisch würde ich die Reformhausbewegung eher rechts einordnen. Historisch gesehen kommt sie ja aus der Ecke. In Deutschland war es die Thule-Gesellschaft, die Vorläuferin der NSDAP, die auf die Idee kam, sich vegetarisch zu ernähren. Hitler und Himmler selbst haben vegetarisch und biologisch gegessen. Eine Ausnahme ist der Verband Demeter, wo mein Onkel als Anarcho-Syndikalist dabei war. Die Ökobewegung der 1960er-Jahre war dagegen nicht besonders politisch. Heute gibt es die moralisierende Vorstellung, bio essen zu müssen. Aber nur weil sich so eine Idee durchsetzt, muss sie noch lange nicht richtig sein.

Stefan Walch, 45, ist Bio-Koch, Caterer und Betreiber eines Bio-Hotels in Speyer

Bio zu essen oder nicht ist eine persönliche Entscheidung. Da finde ich die politische Einstellung irrelevant. Bioprodukte sind natürlich viel hochwertiger, denn man kehrt wieder zurück zum Ursprung der Landwirtschaft. Man sollte aber auf Siegel von Bauernverbänden wie Bioland und Demeter achten, da deren Richtlinien strenger sind als jene der Europäischen Union. Wichtiger ist es aber, auch Produkte von Landwirten aus der Region zu kaufen. Ich beziehe meine Zutaten von Landwirten, die ich persönlich kenne, und achte darauf, dass die Produkte frisch sind. Das muss dann auch nicht unbedingt bio sein. Außerdem gibt es viele Landwirte, die gar kein Biozertifikat haben, aber trotzdem ökologisch, ohne künstliche Düngemittel, anbauen. Das liegt daran, dass eine Zertifizierung mit hohen Kosten und viel Papierkram verbunden ist und Landwirte manchmal Jahre warten müssen, bis sie das Siegel benutzen dürfen. Landwirte, die bio produzieren, tun das oft aus wirtschaftlichen Gründen. Bio lässt sich zurzeit viel besser vermarkten, da es zu einem Trend geworden ist.