: Die Krise und der Mittlere Westen
STRUKTURWANDEL Beispielloser Umbruch im Herzstück der USA
Viele Amerikaner verbinden mit dem Mittleren Westen nach wie vor die romantische Vorstellung von kleinen, sauberen Farmen und endlosen Kornfeldern, die sich im Wind wiegen. Doch das sogenannte „Heartland“ der Vereinigten Staaten hat einen dramatischen Wandel hinter sich, der nach wie vor anhält. Und kleine Farmen existieren fast nur noch auf den Etiketten amerikanischer Milchflaschen.
Die Globalisierung und die Wirtschaftskrise trafen die Region im Nordwesten der USA so hart wie keine andere. Hunderttausende Jobs gingen in den vergangenen Jahren in der Automobil- und Stahlindustrie verloren, die etwa die Gegend südlich der Großen Seen um Detroit dominierte. Städte schrumpften und suchten verzweifelt nach Auswegen aus der Krise.
Die Landwirtschaft machte einen beispiellosen Konzentrationsprozess durch und wird heute von Megafarmen geprägt. Nur wenige Großstädte schafften den Umschwung zur globalisierten Metropole – wie beispielweise Chicago mit seinen florierenden Rohstoffbörsen und Universitäten.
Es gibt keine klare und allgemein anerkannte geografische Abgrenzung des Mittlere Westens. Nach der Definition des Journalisten und Midwest-Kenners Richard C. Longworth umfasst er die US-Bundesstaaten Michigan, Iowa, Minnesota und Wisconsin, hinzu kommen die nördlichen Teile von Ohio, Illinois, Indiana und Missouri und und kleinere Landesteile im Westen.
In dieser Region leben fast 60 Millionen Amerikaner, also rund ein Fünftel der Bevölkerung. Politisch ist der Mittlere Westen von enormer Bedeutung: Er versammelt die so genannten „Swing States“, ausbalancierte Staaten mit keiner einheitlichen Tendenz also, in denen Republikaner und Demokraten bei jeder Wahl um die Wechselwähler kämpfen. In der politischen Diskussion gilt nicht ohne Grund der Satz: Die Tendenz des Mittleren Westens entscheidet die Wahl. Jeder zehnte arbeitsfähige Bewohner sucht hier derzeit einen Job.
Die Arbeitslosenquote lag in der Region im Juni dieses Jahres nach Angaben der zuständigen US-Behörde bei 9,5 Prozent, im Juni 2009 waren es 9,9 Prozent. Damit liegt die Region in etwa gleichauf mit dem Bundesschnitt. Die Arbeitslosigkeit bleibt damit das größte Problem der Region und der USA. „Ich fürchte, dass Firmen und Arbeitgeber noch lange Zeit nicht einstellen werden“, sagte Bob Bruno, Privatdozent und Arbeitsmarktexperte an der Universität Illinois in Urbana-Champaign, der taz. „Die USA bleiben in einer erschreckend hohen Arbeitslosigkeit stecken.“ ULRICH SCHULTE