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Archiv-Artikel

Eine sich selbst aufplusternde Maskulinität

SPANNUNGEN Celina Murga erzählt in „La tercera orilla“ vom Ringen eines Teenagers mit der Normalität und dem tyrannischen Vater (Wettbewerb)

Die Hauptfigur opponiert gegen einen Widerling der mittleren Dimension

Jorge ist ein Vater, der sich nicht „Papa“ nennen lassen will, weil das eine Bindung an eine Frau, eine Familie implizieren würde und damit seinem Machismo Grenzen setzen. So lebt er als angesehener Arzt und selbstherrlicher Gutsbesitzer zwischen zwei Familien und regelt seine Angelegenheiten mithilfe mehr oder weniger großzügiger Geldsendungen. Nicolás, den ältesten Sohn, hat er dazu auserkoren, in seine Fußstapfen zu treten. Mit allem, was dazugehört: Nutten, Autos, Geld, Waffen, die ganze Maskulinitätsnummer.

Und Nicolás macht zunächst mit: Er übernimmt die vakante Rolle des Familienvaters, kontrolliert die Einladungsliste der Geburtstagsfeier seiner Schwester, steht dem jüngeren Bruder bei Schulhofschlägereien bei und weist ihn zur aufrechten Haltung an. Die er, als schlaksiger Teenager mit verstocktem Blick, allerdings doch nicht besonders überzeugend vorlebt; die vom Vater befohlene Rolle akzeptiert er von Anfang an eher passiv; das patriarchale System, das er eigentlich zu seinem eigenen Vorteil aufrecht erhalten soll, erlebt er selbst als Zwang. Wie ein geprügelter Hund bewegt er sich durch den Film, sucht nach kleinen Auswegen: ein ungelenkes Sich-Fallenlassen in den Pool hinter der Stadtwohnung des Vaters; einige ebenso ungelenke Sprünge während einer Karaokenummer mit der Schwester. Und schließlich sucht er, etwas unvermittelt, nach einem großen, nicht mehr rückgängig zu machenden Ausweg.

Man kann es durchaus sympathisch finden, dass Celina Murga in ihrem Wettbewerbsbeitrag „La tercera orilla“ die Hauptfigur nicht gegen einen überzeichneten Familientyrannen opponieren lässt, sondern gegen einen Widerling mittlerer Dimension, der sich viele Kleinigkeiten, aber keine überlebensgroßen Schweinereien zuschulden kommen lässt; dass also Nicolás nicht gegen eine paranoide Fantasie, sondern gegen die nur zu leicht taub machende Normalität Stellung bezieht. Das ändert leider nichts daran, dass der Film die großen Gesten, mit denen er endet, trotzdem nicht so ganz rechtfertigen kann.

Zu gedankenlos und tumb erscheint Nicolás bis kurz vor Schluss, zu unverbindlich dem Fluss seines Lebens ergeben, zu opak bleiben die Zeichnungen der anderen Familienmitglieder. Auch die zuerst durchaus angenehm zurückhaltenden, alltagsrealistischen Bilder, in denen Murga ihre Geschichte entwirft, erscheinen vom Ende her betrachtet als unterkomplex. Dass eine sich selbst aufplusternde Maskulinität gerade in moderne Gesellschaften teils unerträgliche Spannungen einträgt, wird kaum jemand bestreiten wollen; freilich sollten sich diese Spannungen in einem Film, der sich von ihnen zu emanzipieren versucht, doch auf etwas interessantere Art manifestieren als in der immer stumpfer werdenden Mine eines dezent verformten Teenagers. LUKAS FOERSTER

■ Heute, International, 22.30 Uhr; 16.2., Zoo Palast 2, 17.30 Uhr