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Archiv-Artikel

„Die wollen auf Filzlatschen in den Senat“

Die Berliner Parteien schaffen es nicht, ihre Anhänger richtig zu mobilisieren, sagt der Politologe Gero Neugebauer. Durch den allgegenwärtigen Sparzwang fehlten polarisierende Themen. Er wünscht sich mehr Mut zu klaren Aussagen

taz: Herr Neugebauer, die Parteien werben verstärkt in den letzten Wochen vor der Wahl. Warum?

Gero Neugebauer: Bei den jüngsten Bundes- und Landtagswahlen haben viele Wähler erst ganz am Schluss, in der heißen Phase, entschieden, wo sie ihr Kreuzchen machen. Und die Parteistrategen hoffen, diese Entscheidung durch massive Werbung zu beeinflussen.

Funktioniert das tatsächlich?

Sehr bedingt. Dafür ist die Beziehung der Wähler zur Partei zu komplex. Sie wird von vielen lang- und kurzfristigen Faktoren beeinflusst – zum Beispiel von Personen, politischen Ereignissen, einer gewachsenen Parteibindung. Aber bei der Wahl in Baden-Württemberg im März hat sich tatsächlich ein Drittel der Wähler in der letzten Woche entschieden. Es ist wie auf dem Jahrmarkt: Jetzt öffnen die Parteien ihre Buden, viele Leute wählen erst am Schluss ein Angebot aus – oder kaufen eben gar nichts.

Woran liegt das?

Schauen Sie sich doch um: Es gibt in Berlin noch keinen wirklichen Wahlkampf. Was hier läuft, kann man doch nicht Mobilisierung nennen. Die eine Partei bildet ihre Kandidaten ab wie Sardinen in Senfsoße, die andere plakatiert originell gemeinte Zitate. Ein Spruch von Tucholsky interessiert vielleicht 635 Kenner, mehr aber nicht. Die erste Regel jedes Wahlkampfes lautet: Mobilisiere deine Anhänger. Aber dafür müsste man polarisieren.

Aber wie? Beim Sparzwang sind alle d’accord, mehr Arbeit wollen alle, gute Schulen auch.

Stimmt, es ist schwierig. Leider ist die Haushaltskonsolidierung so bestimmend, dass sich die Auseinandersetzung auf Nebenschauplätze verlagert – ich sage nur Olympia. Aber es gäbe Möglichkeiten: Die Linkspartei könnte etwa ihren Kurs bei Wohnungsverkäufen offensiv vertreten, wo sie mit anderen in der eigenen Partei überquer liegt. Oder was verbirgt sich hinter dem „Berlin kann mehr“ der CDU? Mir fehlen klare, inhaltliche Aussagen. Im Moment habe ich den Eindruck, die Parteien möchten auf Filzlatschen in den Senat schleichen.

Wie hat sich die Fußball-WM ausgewirkt?

Wowereit hatte den Vorteil des Amtsinhabers und war ständig präsent. Ihn kannte schon vorher jeder, aber nach der WM hat sich seine Beliebtheit noch gesteigert. Für die Wahlkampfmanager sind aber eher die Sommerferien wichtig. Denn dann sitzen die Leute im Liegestuhl und wollen nicht mit Politik behelligt werden. INTERVIEW: ULRICH SCHULTE