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Archiv-Artikel

Absolute Kompositionskontrolle

Sein Geheimnis bleibt gewahrt: Das Berliner Kulturforum feiert mit drei getrennten Ausstellungen den 400. Geburtstag von Rembrandt

VON MARCUS WOELLER

„Die meeste, ende die naetureelste beweechgelickheijt“ stellte Rembrandt Harmenszoon van Rijn in einem der seltenen Selbstzeugnisse in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Diese Suche nach größter und natürlichster Beweglichkeit in der Kunst, ist auch für den Kunsthistoriker Ernst van de Wetering die Grundlage für die Faszination, die der wohl berühmteste niederländische Künstlers des 17. Jahrhunderts noch immer auslöst. Wetering hat im Jubiläumsjahr eine Ausstellung für das Amsterdamer Museum Het Rembrandthuis kuratiert, die nun in veränderter Form auch in Berlin gezeigt wird.

1639 war Rembrandt in Verzug geraten. Der Statthalter der Vereinigten Niederlande in Den Haag, Frederik Hendrik, hatte bei ihm eine Serie von sieben Gemälden zur Kindheits- und Passionsgeschichte Jesu bestellt und Grablegung und Auferstehung waren längst überfällig. Rembrandt aber war gerade an einem Bruch innerhalb seiner Kunsttheorie angelangt. Über eine größere Beweglichkeit in der Darstellung die innere Bewegtheit seiner Kompositionen zu steigern, hatte er den verabredeten Liefertermin aus den Augen verloren. Die Spannung des Bildaufbaus bewegt auch den Betrachter. Auf der hochformatigen Rundbogenleinwand „Die Grablegung Christi“ gerät der Blick sofort in den Bann des in Leid erstarrten Jesu, der gerade in einen Sarkophag gebettet wird. Grelles Licht leuchtet aus der Gruft, erhellt aber nur den Leichnam und die dicht neben ihm stehende Maria. Die übrige Trauergemeinde schart sich im Halbdunkel. Doch das Leichentuch reflektiert das Licht und setzt ihr Mienenspiel in Szene.

Auch im Folgebild der Himmelfahrt experimentiert Rembrandt als Lichtregisseur. Während Christus auf einer Wolke, von einigen Putten halb geschoben, halb gebremst, in den gleißend hellen Himmel emporschwebt, bleiben die Figuren am Fuß des Grabes im Dämmerlicht. Der schwache Widerschein auf ihren Gesichtern aber steigert nur die Varianten emotionaler Ergriffenheit. Rembrandt strukturiert die Bildfläche durch Licht und Schatten, scharfe Details und absichtsvolle Ungenauigkeit. Der Italiener Caravaggio, eine Generation älter, reklamiert das Urheberrecht auf diese dramatische Hell-Dunkel-Malerei. Die so genannten Utrechter Caravaggisten nutzten die Technik dann zur effektvollen Gestaltung von Genreszenen.

Aber Rembrandt gelingt es durch geschickten Einsatz von Spotlight, Umgebungsdunkelheit und als Bildgegenstand getarnter Reflexionsflächen den Blick zu konditionieren. Besonders in seinem Spätwerk, als er sich von Feinmalerei, Farbenreichtum und Detailgenauigkeit bereits verabschiedet hat. Nun dominieren Schlieren, Impasto und beinahe abstrakter Farbauftrag. Umso authentischer und lebensnaher wirken die Bilder. In einigen Porträts seines Sohnes Titus lässt er diesen ein Buch lesen oder legt ihm Skizzenpapier vor die Hand. Wie ganz nebenbei ins Bild geschmuggelte Projektionsschirme werfen die Requisiten ein indirektes Licht, das die grob gemalten Gesichter erst zu Charakterstudien modelliert.

Die 82 ausgestellten Gemälde sind nicht alle aus Rembrandts Hand. Bei einigen hat er nur Details gemalt, andere sind von Schülern oder in seiner Werkstatt entstanden, manche wie der berühmte „Mann mit dem Goldhelm“ stammen wahrscheinlich nur aus seinem Umfeld. Denn die Geschichte Rembrandts ist auch eine Geschichte des Verlusts Rembrandts. Nicht etwa weil häufig Werke von ihm verloren gingen, sondern weil sich immer häufiger herausstellt, dass es sich nicht um originale Arbeiten des Meisters handelt. Wer im 17. Jahrhundert Maler werden wollte, musste sich aufs Kopieren verstehen. Und Rembrandt hatte Dutzende von Lehrlingen, zumeist bereits ausgebildete Maler, gute dazu, die sich den Stil des schon zu Lebzeiten äußerst bewunderten Künstlers aneigneten. Als dann die Liebe zu Rembrandt besonders im 19. Jahrhundert wuchs, wurden ihm viel mehr Bilder zugeschrieben, als seriös zu verantworten war. Das von Wetering geleitete Rembrandt Research Project arbeitet seit den Sechzigerjahren an der Erstellung eines Korpus, um die Autorschaft aller Werke, die nach Rembrandt aussehen, aufzuklären.

„Rembrandt – Genie auf der Suche“ ist nur ein Teil des Rembrandt-Blocks. Zwei weitere, von der Gemäldeschau nicht nur räumlich, sondern auch konzeptionell getrennte Ausstellungen, widmen sich der Druckgrafik und dem zeichnerischen Werk. Den Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) ist es im Hype um den 400. Geburtstag Rembrandts gelungen, ein dezidiert wissenschaftliches Ausstellungsprojekt zu stemmen und das sogar aus dem eigenen finanziellen Haushalt. Das Kupferstichkabinett beherbergt eine der größten und umfassendsten Sammlungen von Handzeichnungen Rembrandts. Ihr stellvertretender Direktor Holm Bevers legt nun mit der Ausstellung „Rembrandt –Der Zeichner“ und dem dazugehörigen Katalog eine kritische Bestandsaufnahme vor. Auch hier zeigt sich: Weniger ist mehr. Von 126 Rembrandt zugeschriebenen Zeichnungen zum Zeitpunkt der letzten offiziellen Sichtung vor fünfzig Jahren blieben nur noch 55, die tatsächlich gesichert von ihm stammen. Unglaublich präzise setzt er aus ein paar Konturen und Schraffuren seine Bildideen zusammen, die den Ölgemälden in keiner Weise nachstehen. Hätte es im 17. Jahrhundert schon den Edding 800 gegeben, wäre Rembrandt wahrscheinlich auch mit Graffiti in Erscheinung getreten. Einige seiner Skizzen sind so rasant, als hätte er in der Eile der Illegalität zeichnen müssen. Mit wenigen prägnanten Schwüngen definiert er menschliche Figuren und ihre emotionale Verfassung.

Auch hier entwickelt Rembrandt die Dynamik aus dem Nebeneinander von Detail und Unschärfe. Das kleine quadratische Format „Der klagende Jakob“ zeigt den Moment, als dem alttestamentarischen Patriarchen vorgetäuscht werden soll, dass sein Sohn Josef einem reißenden Tier zum Opfer gefallen sein soll. Jakob zerreißt es schier vor Schmerz. Während sein verzerrtes Antlitz mit feiner Feder gestrichelt ist, löst sich sein Körper schon in eruptiver Gestik auf. Der Rest ist abstrakter Expressionismus. „Das Opfer des Manoah“, eine Erlösungsgeschichte aus dem Buch der Richter, ist nicht mehr weit von Cy Twombly entfernt. Doch in den flatternden Linien manifestiert sich das Formprinzip Rembrandts: Konzentration auf das Wesentliche und absolute Kontrolle über die Komposition. Bei seinen Schülern sieht das schon manchmal anders aus; da wird geschludert, wo Exaktheit gefragt wäre, und an falscher Stelle dekoriert – bis der Meister korrigierend eingreift. Auch die grafische Rembrandt-Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts kann sich sehen lassen. Im dritten Ausstellungsteil „Rembrandt – Ein Virtuose der Druckgraphik“ wird der Künstler als wesentlicher Wegbereiter der Radierung gefeiert. Er nimmt den Wettstreit mit Albrecht Dürer auf, der ein Jahrhundert früher Kupferstich und Holzschnitt zur Meisterschaft gebracht hatte, und setzt sich mit den malerischeren und freieren Techniken der Radierung auseinander. Wo Dürer noch kräftezehrend den Grabstichel durch die Kupferplatte oder den Beitel durchs Holz treiben musste, um der glatten Fläche eine druckbare Struktur abzuringen, geht es Rembrandt leichter und schwungvoller an. Bei der Radierung wird die Zeichnung in eine weiche Firnisschicht geritzt, die über dem Metall liegt, dann kommt die Platte in ein Ätzbad. Zur Herstellung stärkerer Kontraste und der Erzeugung höherer Dunkelwerte kombinierte er die reine Radierung mit Kaltnadel und Schwefelpulverätzung. Selbstbewusst verstand Rembrandt Grafik nicht als Reproduktionstechnik, sondern als eigenständige und gleichwertige künstlerische Gattung.

So zeigt die Ausstellung Porträts und Selbstbildnisse; Landschaften, Allegorien und Historien; Milieustudien und deftige Szenen wie „Der Mönch im Kornfeld“, der sein Keuschheitsgelübde etwas elastischer auslegt. Überhaupt waren Rembrandt mit den zum Teil winzigen Radierungen freiere Motive gestattet, was zwar dem sittenstrengen Protestantismus der nördlichen Niederlande zuwiderlief, aber populär war. So wundert man sich, ob „Der Sündenfall“ von Adam und Eva im Essen eines verbotenen Apfels bestand oder derart verlottert im Paradies herumzulaufen. Allemal offenbart es Rembrandts Interesse an der Darstellung des Menschen in authentischer Gestalt, war er doch einem tatsächlich volkstümlichen Barock verpflichtet.

Bleibt die Frage, warum die SMB trotz aller Ambition die Mühe oder die interne Kommunikation gescheut haben, die drei getrennten Ausstellungen zu einer großen, wissenschaftlichen und trotzdem publikumswirksamen Schau zusammenzuschweißen. Bei den vielen Rembrandt-Shows in diesem Jahr hätte sie der krönende Abschluss werden können. Aber so verirrt sich der Besucher zwischen drei unzusammenhängenden Orten im Architekturlabyrinth des Kulturforums, muss drei Kataloge vergleichen und ist auf sich allein gestellt, die verschiedenen Forschungsansätze unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Rembrandt jedenfalls lässt die Ausstellung den Raum, sein Geheimnis zu wahren.

Rembrandt, Kulturforum Potsdamer Platz Berlin, läuft bis zum 5. November 2006