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Archiv-Artikel

„Die europäische Antwort fällt schwach aus“

EHRENBÄR Ganz der Alte: Ken Loach über Neoliberalismus, Fernsehserien und „die nordamerikanische Dominanz“

Kenneth Loach

■ genoren 1936 in Nuneaton in der englischen Grafschaft Warwickshire. Er bevorzugt einen naturalistischen Filmstil und das soziale Drama. Bekannt wurde er in den 1990ern mit Filmen wie „Land and Freedom“ (über den Spanischen Bürgerkrieg) oder „Carla’s Song“ (Nicaraguanische Revolution). Sein irisches Freiheitsdrama „The Wind That Shakes the Barley“ wurde 2006 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Für sein Gesamtwerk erhält er den Goldenen Ehrenbären der Berlinale.

INTERVIEW BERT REBHANDL

taz: Mr Loach, was bedeutet es Ihnen, auf der Berlinale mit einem Goldenen Bären für das Gesamtwerk geehrt zu werden?

Ken Loach: Sehr viel! Allerdings sehe ich das nicht allein für mich persönlich. Es ist eine Auszeichnung für alle, die an diesen Filmen mitgearbeitet haben. Der Preis gilt genauso den Autoren, Produzenten, Schauspielern. Wir haben diese Filme zusammen gemacht. Und natürlich hilft so ein Preis, wenn ich wieder einen neuen Film in die Kinos bringen will.

Die Anerkennung der Berlinale gilt einem Werk, das mehrere Jahrzehnte umfasst. Was hat sich seit den sechziger Jahren für Sie verändert?

Mir ist eher vor Augen, was gleich geblieben ist. Die nordamerikanische Dominanz hat sich nicht verändert. Sie ist unverändert aggressiv, für die anderen Kulturen ist es schwierig, sich zu behaupten. Als ich begann, war das italienische Kino großartig und kraftvoll. Es gab sehr spezielle osteuropäische Filmkulturen, Skandinavien war stark. Heute sind solche Kulturen zumeist auf ein, zwei Namen reduziert. Es gibt also wenn, dann eher Veränderungen zum Schlechteren, und die europäische Antwort fällt schwach aus.

Gibt es überhaupt ein europäisches Kino?

Das europäische Kino ist ein Kino der Nationen. Die unterschiedlichen Identitäten sollten stärker ausgeprägt und nicht vereinheitlicht werden. Wichtig ist auch, ganz konkret die Kinos zu schützen. Wenn man die Märkte sich selbst überlässt, schaffen sie Monopole.

Sie haben selber im Fernsehen begonnen. Das europäische Kino ist mehr denn je mit dem Fernsehen verbunden. Ist das nicht ein sterbendes Medium?

Kommt darauf an, wie man das versteht. Wir sehen heute ja das meiste im Fernsehen, weil es auf die Bildschirme ins Haus gebracht wird, als DVD, als Stream oder als Programm. Das Zappen mit der Fernbedienung erscheint mir nach wie vor das wichtigste Instrument zu sein. Das hat auch die Ästhetik der Filme stark beeinflusst, denn sie sind nun einmal heute stärker auf Sensationen gepolt denn auf Beobachtung und Reflexion.

Umgekehrt erleben wir aber doch auch, dass das Fernsehen neuerdings auch wieder als ein Medium komplexer Erzählungen fungiert. Es gibt viele interessante Serien …

Ich finde das nicht so interessant. Bei so großen Umfängen ist es schwierig, eine individuelle Stimme zu bewahren, das läuft einfach zu arbeitsteilig.

Sehen Sie sich manchmal so etwas wie „Downton Abbey“ an? Nur so zum Spaß?

Spaß ist nicht das Wort, das mir dazu einfällt. Ich habe einmal zufällig zwei Minuten davon gesehen. Für mich ist das nichts. Da geht es doch nur um Klischees und eine schöne Ausstattung. Ich würde von comfort television sprechen.

Großbritannien, das Sie in Ihren Filmen als differenzierte Welt dargestellt haben, hat eine ambivalente Beziehung zu Europa. Woran liegt das?

Wir wollen Teil eines anderen Europas sein. Die EU ist ein neoliberales Projekt. Staaten werden zu Privatisierungen gezwungen. Wir wollen das Gegenteil. Es ist doch so: Die politische Rechte und sogar die rechten Arbeiterführer werden immer auf Stimmungen setzen, die gegen eine Integration gerichtet sind. Ich glaube hingegen, dass Solidarität ein instinktives Gefühl ist. Und dass Politiker die Antagonismen schaffen, von denen sie profitieren. Ein anderes Europa würde die Länder sozial gleicher machen. Derzeit haben wir aber eine Situation, in der Politiker eine Politik machen, die Armut schafft und deswegen Migration notwendig macht, woraus wiederum Rassismus entsteht, den Populisten abschöpfen. Ein fataler Kreislauf.

Ihre Karriere ist in etwa mit dem Aufstieg des Neoliberalismus parallel verlaufen. Stimmt Sie das nicht pessimistisch?

Wenn man sich Geschichte in einer längeren Perspektive ansieht, dann ist das nur eine Phase.

Sicher?

Nun, wir haben inzwischen das Potenzial, die Welt zu zerstören. Doch selbst der Feudalismus ist vergangen, der Stalinismus war auch nur eine Phase.

Wenn man nach China oder Osteuropa blickt, sieht das mit dem Feudalismus weniger eindeutig aus. Was wäre denn zu tun im Sinne einer Politik, die Sie unterstützen?

Ohne Organisation der Massen geht es nicht. Da halte ich es mit dem alten Dreiklang: agitieren, bilden, organisieren. Wir müssen das festhalten, was wir haben.

Politik bedeutet Verteidigung errungener Rechte, nicht Kampf für deren Erweiterung?

Beides. Die herrschende Klasse sucht den Kampf. Wir müssen den Widerstand organisieren.

Sind die neuen Medien dabei hilfreich?

Ich bin nicht die Person, dies zu beantworten. Ich kann kaum mit dem Mobiltelefon umgehen. Dank digitaler Vernetzung mag man leichter Leute auf die Straße bekommen. Aber dann?