: Nachhaltig in Niedersachsen
Unter „nachhaltiger“ Politik versteht Regierungschef Christian Wulff (CDU) vor allem Schuldentilgung und den Bau von Autobahnen. Der Opposition erscheint das „nachhaltig hilflos“
von KAI SCHÖNEBERG
„Nachhaltig“ ist ein schönes Wort. 1992 wurde die „nachhaltige Entwicklung“ auf dem UN-Klimaschutzgipfel in Rio als Leitbild für die Politik der Staatengemeinschaft verabschiedet. Seitdem nervten vor allem Ökologen Regierende allerorten mit Nachhaltigkeit, damit Soziales und Wirtschaft endlich „in Einklang“ – noch so ein schönes Wort – mit Umweltinteressen gebracht werden könnte. Klug ist, wer feindliche Begriffe dehnt oder umdeutet – und sie für seine Zwecke benutzt. Denn: Was bitte sollte „nachhaltig“ noch mal bedeuten?
In diesem Sinne besonders klug zeigte sich gestern Christian Wulff. Niedersachsens Regierungschef präsentierte nicht nur seine nachhaltige Urlaubsbräune, er stellte auch den ersten Nachhaltigkeitsbericht des Landes vor, ein 75 Seiten umfassendes Konvolut, das alle Ressorts auf „Nachhaltigkeit“ verpflichtet. „Mit großer öffentlicher Beteiligung“, so Wulff, wolle er die Nachhaltigkeit in Niedersachsen vorantreiben, um die „Generationengerechtigkeit zwischen den Geschlechtern“ sowie „zwischen den lebenden und noch nicht geborenen Generationen“ zu gewährleisten. „Wir“, beteuerte der CDU-Mann, „wollen nicht auf Kosten kommender Generationen leben.“
Als Beispiele listete der Ministerpräsident dann viel von dem auf, mit dem er sich in den vergangenen gut drei Jahren beschäftigt hat: „Nachhaltig“ sind deshalb für Wulff nicht etwa Klimaschutz oder weniger Flächenfraß, sondern Schuldensenken oder EU-Fördergelder einstreichen. Immerhin befand Wulff auch, dass die Migrationspolitik hierzulande bislang zu wenig „nachhaltig“ gewesen sei. Als „nachhaltig“ bezeichnete er aber auch den Bau des Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven oder die Autobahnprojekte A 22 und A 39 – obwohl Umweltschützer das kaum so sehen dürften.
Die EU war schon Jahre vor Wulff so klug, Ökonomie und Nachhaltigkeit in einen Topf zu werfen: Demnach bedeutet Nachhaltigkeit vor allem, Europa bis zum Jahr 2010 als wirtschaftlich stärkste Region der Welt zu etablieren. Seitdem handeln auch der Bund, Bayern oder das Land Hamburg „nachhaltig“ und geben entsprechende Berichte heraus. In Hamburg hat das Umweltressort bereits vor fünf Jahren eine nachhaltiges „Kursbuch Umwelt“ geschrieben, schließlich ließ der Senat doch das Mühlenberger Loch für Airbus zuschütten.
„Falsche Politik wird nicht dadurch besser, dass man ihr den Stempel ,nachhaltig‘ aufdrückt“, kommentierte der Grüne Fraktionschef Stefan Wenzel Wulffs nachhaltiges „Sammelsurium von Politikfeldern“, mit denen er nur das „Sommerloch auffüllen wollte“. Die Landesregierung habe mit dem Bericht nur gezeigt, wie „nachhaltig“ hilflos sie sei, meinte sein SPD-Kollege Wolfgang Jüttner. „Peinlich“ fand Jüttner mal wieder Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Der Ressortchef hatte nicht nur darauf verwiesen, dass er mit Betrieben nachhaltige Bündnisse schließen wolle – denn: „Ökonomie und Ökologie sind für uns kein Widerspruch.“ Sander hatte auch sein nachhaltiges Projekt „Natur erleben“ vorgestellt und gesagt, er würde am liebsten im kommenden Jahr 40 Millionen Euro aus EU-Mitteln für die Beobachtung von Seeadlern und Biberburgen ausgeben. Fragen nach der Kofinanzierung der EU-Mittel hatte Sander dagegen nur zögerlich beantwortet: „Vielleicht ja aus Stiftungen.“