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Archiv-Artikel

Rucke di gu, rucke di gu, Blut ist im Schuh

Wenn Grimms Märchen zu „Kcrrims Meärchn“ mutieren, hilft auch die rosarote Kinderbrille nicht mehr: Die Hamburger Illustratorin Anke Feuchtenberger lässt ihre Studenten in der Galerie Icon einen wenig verniedlichenden Blick auf Rotkäppchen und Konsorten werfen

Vor diesen Märchen würden redliche Mütter ihre Kinder wohl eher fernhalten. Denn „Kcrrims Meärchn“ würden, setzte man sie als Gute-Nacht-Geschichten ein, selbst manchem Erwachsenen den Schlaf rauben. Schon der Titel der Ausstellung in der Galerie Icon klingt bedrohlich, „Kcrrims Meärchn“ eben, ein bisschen nach „Killt Mädchen“. Vordergründig handzahm, geht es laut Ankündigung nur um „Erzählende Bilder zu den Märchen der Brüder Grimm“. Anke Feuchtenberger, Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, hat die Schau kuratiert, bei der 26 junge Illustratoren, Comiczeichner und Fotografen die Ergebnisse eines Semesters ausstellen.

Wer die Feuchtenberger’schen Bilderzählungen kennt – etwa „Die Hure H“ –, ahnt, dass ihn hier keine Aschenputtel-Rüschigkeit erwartet. In Eingangsnähe fängt zwar alles noch ganz harmlos an: Simon Schwartz hat „Archetypen“ in vier aneinander geklebte Pappkisten gesteckt und Guckfenster hineingeschnitten. Durch die kann man die Archetypen dann kreiselnd betrachten: Eine mondbeschienene Stadt, ein böse dreinblickender Räuber, ein Königspaar sowie eine Prinzessin im lila Reifrock, die in einen Brunnen plumpst. Ein hübsches Spielzeug, von dem allerdings schnell Gosia Machons Quicktime-Filmchen „Hänsel und Gretel“ ablenkt: Hier sieht die niedliche Strichmännchen-Hexe wie E.T. aus.

Aber spätestens bei den Fotoarbeiten „Grimmsche Brutalität“ von Eibe Maleen Krebs ist es dann vorbei mit der Hausmärchenlieblichkeit: ein Puppenkopf mit starrem Leichenblick, blutige Füße in goldenen Tanzschuhen, Aschenputtel vielleicht, aber schon wieder als E.T.-Klon, der sich ängstlich-schützend die Hände über den Kopf hält. Die nächste Fotostrecke zeigt eine Hand, von der blutrotes Glibberzeug herabtropft – gelierte Kirschsaftschorle, warm gewordene Sülzwurst, Aschenputtels Gehirn? Dreht man sich weg von diesen Splatter-Szenarios, wird’s auch nicht weniger unheimlich und man fragt sich, wieso einen nun diese schwarze Foto-Mieze so drohend und dann auch noch in Giftgrün anglotzt. Damit ich dich besser fressen kann!, denkt sie sicher.

Stichwort „Rotkäppchen“: Unter diesem Titel als Vorwand schaut die Kamera von Sina Preikschat mit latent pädophilem Blick jungen Mädchen nach. Richard Fährmann wiederum illustriert „Hans mein Igel“ so, dass stachlige Geschosse in Tuschezeichnungen durch die Gegend fliegen. Die Vernissagenbesucher konnten hinter den freundlichen Damen vom Ausschank in Deckung gehen und sich in aller Ruhe fragen, wieso diese Künstler eigentlich sämtlich Namen wie aus einem Martin-Walser-Roman tragen (Wassily Zittel! Xenia Lassak! Michalina Z. Mehloch!).

Das Gruselpotenzial der Märchen loten sie jedenfalls erschöpfend aus. Da eine verniedlichende Rezeption die Bedrohlichkeit der Texte lange eliminierte, hielt die Professorin ihre Schützlinge bewusst dazu an, die Texte mit erwachsenem Blick statt durch die rosarote Brille von Kinderbuch-Illustrationsästhetikern zu lesen. Neu ist dieses Konzept zwar nicht – wo doch sogar schon Nadja Auermann erklärt, sie würde ihren Kindern keine Grimm-Märchen mehr vorlesen, weil die zu blutrünstig seien. Doch wie gut passt das Schauerliche einfach zur dunklen, schwarz-weißen Grundstimmung vieler Arbeiten, die sich aus Anke Feuchtenbergers Zeichentechnik ergibt: Sie lehrt vor allem den Umgang mit Kohle, Bleistift und Feder. Sehr wichtig ist ihr auch das Erzählerische; entsprechend gibt es wenige Einzelbilder und viele Serien zu sehen, die sich meist weit von der Textvorlage lösen und den Raum souverän als Medium für eigene Narration nutzen.

Ein in deutscher Märchenkunde Unerfahrener wird nach dem Galeriebesuch wohl vermuten, dass es sich bei diesen Grimms um zwei psychopathische Kinderficker mit kannibalistischen Neigungen gehandelt haben muss. Der Grimmkundige allerdings wird den kritischen Studenten durchaus für die Schauer danken, die ihm über den Rücken liefen. Getrieben von seiner unbefriedigten Sehnsucht nach süßem Zicküth und Rucke di gu ohne Blut im Schuh wird er später aber trotzdem in der nächstbesten Kinderbuchabteilung die Verkäuferin anflehen: „Zwerge! Berge! Wenigstens ein klitzekleines Rumpelstilzchen!“ Und schließlich wird er über einer pastellfarben gebundenen Grimm-Ausgabe mit den biedermeierlichen Stichen von Ludwig Pietsch spät nachts endlich beruhigt einschlafen.

BRIGITTE PREISSLER

bis 2. 9., Galerie Icon, Veteranenstr. 22. Do., Fr. 13–19 Uhr, Sa. 12–16 Uhr oder nach Vereinbarung, Tel. 44 35 24 20