piwik no script img

Archiv-Artikel

Rücksichtlos erfolgreich auf dem Weg zur Macht

ITALIEN Ministerpräsident Enrico Letta tritt zurück – Nachfolger wird wohl am Montag der 39-jährige Matteo Renzi aus derselben Partei. Er hat in den letzten Jahren einen politischen Durchmarsch hingelegt

Zwei Drittel der Italiener wünschen sich einen „starken Mann“ an der Spitze

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Italiens Regierung unter Enrico Letta ist nach nicht einmal zehn Monaten gestürzt. Am Freitagmittag begab sich der bisherige Premier zu Staatspräsident Giorgio Napolitano, um seinen Rücktritt einzureichen, an dem kein Weg mehr vorbeiführte, nachdem seine eigene Partei ihm die Unterstützung entzogen hatte. Bis zum Samstag will Napolitano nun die Konsultationen zur Bildung der Nachfolgeregierung abschließen; damit könnte Italien schon zum Wochenanfang einen neuen Ministerpräsidenten haben – Matteo Renzi.

Zu Fall brachte Letta ein parteiinternes konstruktives Misstrauensvotum: In einer Sitzung des Parteivorstands am Donnerstagnachmittag erklärte Matteo Renzi, Chef der gemäßigt linken Partito Democratico, der bisherige Regierungschef und Parteifreund Enrico Letta sei gescheitert – und schlug sich gleich selbst als Nachfolger vor.

Der erst 39-jährige Renzi, der nun beste Chancen hat, zum jüngsten Regierungschef in der Geschichte des Landes zu werden, räumte Letta genauso schnörkel- und rücksichtslos beiseite, wie er seinen gesamten politischen Aufstieg vollzogen hat. Mit Letta, so die gnadenlose Diagnose, habe Italien weiterhin „im Sumpf“ festgesteckt; es brauche jemanden, der es als Kompliment empfinde, wenn ihm „maßloser Ehrgeiz“ vorgeworfen werde: eben ihn selbst. Er, so Renzi, habe den Ehrgeiz, Italien ebenjene Wende in Politik und Wirtschaft zu bescheren, die das Land so dringend benötige.

Matteo Renzi dürfte mit der Übernahme der Regierung einen blitzartigen Aufstieg krönen, der vor allem eines war: geradlinig – geradlinig vorbei an den Ritualen der eigenen Partei. Renzi, der aus der christdemokratischen Minderheit der PD stammt, inszenierte sich von Beginn an als Enfant terrible, das keine Lust hatte, die übliche Ochsentour durch den Apparat hinter sich zu bringen. Renzi probte den Durchmarsch gegen den von den früheren Kommunisten dominierten Kern der Partei und setzte sich so zunächst 2009 als Bürgermeister von Florenz durch. Doch die Kommunalpolitik war sein Horizont nicht; schon seit 2010 brachte er sich gegen die „verkrustete“ nationale Parteiführung in Stellung – in der wiederum Letta seinerzeit als Vizevorsitzender der PD präsent war.

Die alte Garde stehe zur „Verschrottung“ an, lästerte Renzi immer wieder, und schon bei den Vorwahlen zu den Parlamentswahlen 2013 holte er so 40 Prozent bei den PD-Anhängern. Seine Stunde aber schlug erst, als sich die tiefe wirtschaftliche Krise Italiens mit dem politischen Patt nach den Wahlen vom Februar 2013 paarte. Das Gros der italienischen Wähler sieht die Dinge zumindest in diesem einen Punkt wie Renzi, der heute nicht umsonst der weitaus populärste Politiker des Landes ist: Die alte politische Klasse muss weg. Mehr noch: Italien braucht einen energischen, zupackenden Anführer, einen „starken Mann“, wie zwei Drittel der Bürger in Umfragen erklären. Diese Stimmung trug Renzi zu einem überwältigenden Sieg bei der Urwahl des PD-Chefs im Dezember 2013, als ihm ca. 70 Prozent der 3 Millionen votierenden PD-Anhänger das Vertrauen aussprachen.

Mit Renzis Durchmarsch an die Regierung hat Italien nun allerdings gleich drei Volkstribune, die vor allem sich selbst inszenieren: neben Renzi den unverwüstlichen Silvio Berlusconi auf der Rechten und den Exkomiker Beppe Grillo mit seiner Protestbewegung Movimento5Stelle.

Von diesen dreien hat Renzi nun die unbequemste, die riskanteste Position. Bisher konnte er genauso wie Berlusconi und Grillo Punkte damit sammeln, dass er gegen den „Palazzo“ schoss. Nun aber sitzt er wohl selbst im Palazzo – und das auch noch an oberster Stelle.

Mehr als ehrgeizig ist sein Vorhaben, bis zum Ende der Legislaturperiode 2018 durchzuregieren. Auf der Habenseite hat Renzi vor allem den Wunsch der kleinen Koalitionspartner der Rechten und der Mitte, vorgezogene Neuwahlen zu umgehen. Doch zugleich ist er dazu verdammt, mit genau der gleichen Koalition weiterzuregieren, über die auch schon Letta verfügte. Die PD stellt darin zwar den stärksten Partner, doch für Mehrheiten ist sie auf das vom Berlusconi-Lager abgespaltene Neue-Mitte-rechts-Lager ebenso wie auf Mario Montis Minitruppe angewiesen. Mit ebendiesen Partnern muss Renzi nun die von ihm avisierten – allerdings beileibe noch nicht konkretisierten – Reformvorhaben am Arbeitsmarkt, in der Fiskalpolitik, beim Bürokratieabbau, in der Justiz in Angriff nehmen. Dies ist seine einzige Karte – und die letzte für die PD. Nach Lettas Sturz und Renzis Aufstieg hat die Partei keine personelle Alternative mehr. Sollte Renzi scheitern, wäre der Weg frei für die beiden anderen: Berlusconi und Grillo.