: Mit Ketten und mit Lederäxten
KONSTRUKTIONEN Architektur legt Geschlechterrollen fest: Wie, das erfährt man aus den Videos und Skulpturen der Bildhauerin Monica Bonvicini. Im Fridericianum in Kassel eröffnet eine große Einzelausstellung der Berliner Künstlerin
■ Kassel: Monica Bonvicini, „Both Ends“, Kunsthalle Fridericianum in Kassel, 28. August bis 14. November. Ab Februar 2011 im Kunsthaus Graz.
■ Oslo: „She Lies“, monumentale Skulptur aus Stahl und Glas, liegt seit Mai dieses Jahres vor der Oper von Oslo im Wasser des Fjordes (siehe Foto).
■ Im Emschertal: Noch bis 18. September ist eine große Installation der Bildhauerin im Emschertal im Ruhrgebiet zu sehen, Teil der Emscherkunst 2010.
■ Das Künstlerbuch: Monica Bonvicini, „This Hammer Means Business“. Künstlerbuch mit Abbildungen ihrer Arbeit aus zehn Jahren. 160 Seiten, Verlag der Buchhandlung König, Köln 2010, 29,80 Euro
VON GESINE BORCHERDT
Zerstörung.“ Monica Bonvicini zieht an ihrer Zigarette und blickt auf die Puma-Turnschuhe mit einem Nest aus knallbunten Schnürsenkeln an ihren Füßen. Im Vergleich zu ihrem schmalen, in enges Schwarz gehüllten Körper sehen sie aus wie Senkbleie. „Mich interessiert der Begriff der Zerstörung von Raum. Vielleicht, weil ich mich lieber auf der Straße als zu Hause aufhalte. Räume, besonders kleine, beengen mich.“ Dabei stammt die Bildhauerin aus Venedig, einer sinkenden, verwinkelten Stadt, in der manche Gassen nur wenig breiter sind als die eigenen Schultern – Enge müsste Bonvicini also gewohnt sein.
Es ist ein warmer Tag, wie ein Scheinwerfer flutet das Sonnenlicht in ein Loft der Uferhallen im Berliner Stadtteil Wedding. Als sie 1986 nach Berlin zog, erzählt Bonvicini, musste sie sich in einem Kabuff bei der Polizei anmelden. „Kein besonders angenehmer Ort, um Ausländer zu empfangen.“ Genau um solche Situationen geht es in ihren Arbeiten, mit denen sie seit ihrer Teilnahme an der ersten Berlin Biennale 1998 zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation aufgestiegen ist: um die Frage nach Räumen als Bedeutungsträgern – mit gesellschaftlicher, geschlechtsspezifischer und psychischer Funktion.
Haus über dem Kopf
Was sie damals in ihrem legendären Video „Hausfrau Swinging“ (1998) zeigte – eine nackte, korpulente Frau mit einem Haus über dem Kopf, das sie wie ein Tier im Käfig gegen die Wände einer weißen Raumecke donnerte –, zieht sich bis in die Gegenwart und ihre kommende Ausstellung in Kassel durch. Architektur und Erotik treffen aufeinander.
Der Sex und der Raum: In Bonvicinis Arbeiten sind das Gegensätze, die zusammengehören. Was bedeutet das Haus traditionellerweise für Mann und Frau? Schutz, Intimität, Käfig für sie; Macht, Status- und Phallussymbol für ihn – was nach einer Hausarbeit in Gender-Studies klingt, dominiert bis heute weltweit das Bild urbaner Situationen. Ebendas will Bonvicini mit ihren Arbeiten angreifen, glücklicherweise nicht ohne ihren beißenden Humor. „Humor ist wichtig, um nicht didaktisch zu werden“ sagt Bonvicini, während die Sonne auf ihre kurzen blonden Haare strahlt. „Ich will nicht den Zeigefinger erheben.“
Beim Anblick ihrer in Leder eingenähten Hämmer und Äxte („Leather Tools“, 2004–2009), sorgsam in musealen Vitrinen drapiert, bleibt einem allerdings das Lachen im Halse stecken. Dasselbe gilt für die von der Decke baumelnde, plötzlich loskreischende Bohrmaschine („Blind Shot (Wallsucker)“, 2005) – solche Objekte haben etwas von hysterischen Fetischen, wie man sie ebenso gut im Keller einer Domina oder in einem Schwulenclub finden könnte.
Libidinös aufgeladen und voller einander zuwiderlaufender Materialien und Oberflächen sind auch Bonvicinis größere Skulpturen und raumgreifende Installationen: Bei Max Hetzler, in ihrer Berliner Galerie, lag im Frühsommer ein zerfließender Kubus aus Stahlketten auf einem verspiegelten Sockel, der wie eine süffisante Hommage an Donald Judds edle Boxen daherkam. Und über einer riesigen Spiegelwand mitten im Raum, in der sich das grelle Licht der großen Hängeskulptur „Light Me Black“ (2009) aus 148 Neonröhren fing, wand sich ein schwarzes Ledernetz, das von einem kleinen Bereich dahinter über die Wand geworfen war: In dem schmierig-dunklen Zimmer mit lederbezogenem Stuhl, Bett und Lederdecke schien die cleane Monumentalität des Hauptraumes völlig aufgesogen.
Die symbolische Ordnung angreifen
Mit diesem Hang zu erotisch aufgeladenen Objekten und Räumen, die den Blick des Betrachters am Ende immer auf das eigene Ich lenken, rücken Bonvicinis Arbeit in die Nähe des Surrealismus. Wie der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan sieht Bonvicini den Menschen einer symbolischen Ordnung unterworfen. Sie setzt in ihren Werken doppeldeutige Assoziationen frei, die mit dem Unbewussten kokettieren – und psychologische Muster von Macht und Ohnmacht aufdecken. In diesem Sinne lassen sich auch Bonvicinis sprachliche Arbeiten verstehen, wie etwa der raumhohe Schriftzug aus Glühbirnen „NOT FOR YOU“ (2007), der die Besucher anblinkt wie ein überdimensionales Revuetheater: Was eigentlich zum Konsum verführen soll, entpuppt sich als abweisende Häme gegenüber einem Publikum, von dem sich nur ein Bruchteil solche Kunst leisten kann.
Die Schnittstelle von institutionellem, öffentlichem und privatem Raum nimmt Bonvicini immer wieder ins Visier. Dazu eignen sich Spiegelflächen besonders gut: 2004 platzierte sie mit „Don’t Miss a Sec.‘“ ein rundum verspiegeltes Toilettenhäuschen auf dem Messeplatz vor der Art Basel. Aus dem Innenraum konnte man uneingeschränkt nach draußen sehen; unmöglich, sich nicht beobachtet zu fühlen.
Der Raum als Ableitung vom menschlichen Körper: Das war schon in den 70er Jahren ein beherrschendes Thema der Kunst – etwa bei Bruce Nauman, der in seinen Korridoren und Videos eine beklemmende Atmosphäre heraufbeschwor. Bonvicini schmunzelt. „Ich finde die Vorstellung amüsant, wie Nauman sich damals in seinem Atelier in San Francisco langweilte und diese Videos drehte, in denen er durch den Raum läuft.“ Sie bläst Zigarettenrauch in den Sonnenstrahl und runzelt die Stirn. „Die meisten Künstlerinnen dieser Zeit konnten sich noch nicht einmal ein Atelier leisten. Frauen wie Valie Export oder Adrian Piper führten ihre Aktionen auch deswegen auf der Straße aus.“
Künstlerinnen und Bauarbeiter
Besonders Export, in deren Heimatstadt Wien Bonvicini an der Akademie lehrt, hat sie stark geprägt. Vielleicht auch deswegen erinnert „Hausfrau Swinging“ an Exports Aktion „Tapp- und Tastkino“ (1968), bei der sie ihren nackten Oberkörper in einen weißen Karton hüllte, durch den Männer auf der Straße ihre Brüste berühren durften. Es ist dieselbe Verletzlichkeit und Vehemenz, und auch derselbe Humor, die hier die patriarchalischen Strukturen der Gesellschaft offenlegen.
So präsentiert Bonvicini in ihrer großen Einzelausstellung, die am 28. August im Kasseler Fridericianum eröffnet wird, eine Arbeit, die sie als Hommage an solche Frauen versteht: „Take One Square Or Two“ (2000) besteht aus zwei Videoprojektionen, von denen die eine einen Mann zeigt, der, begleitet von einem einzigen penetranten Ton – eine Anlehnung an den Violinenklang in Naumans Videos –, auf eine Wand zu- und zurückgeht. In dem anderen Video läuft eine Frau durch eine Baustelle, dazu werden die Instrumentalfassungen von „Run Run Run“ von Lou Reed und „Running Dry“ von Neil Young gespielt, Hymnen aus Pre-Punk-Zeiten, die gegen die einzeln summende Note anarbeiten. „Das Video zeigt, welchen enormen Einfluss die Künstlerinnen der 70er-Jahre-Generation auf die Kunstgeschichte ausgeübt haben. Trotzdem sind sie nie so erfolgreich oder bekannt geworden wie Bruce Nauman oder Gerhard Richter.“
Dass Bonvicini gern diejenigen würdigt, die normalerweise hinter den Kulissen verschwinden, belegt auch ihr seit 1999 fortgeschriebenes Projekt der Umfrage unter Bauarbeitern, das aus mittlerweile rund 400 Fragebögen besteht. Auf die titelgebende Frage „Was denkt Ihre Frau/Freundin von Ihren harten und trockenen Händen?“ haben die Männer nicht nur mit lakonischen Sprüchen wie „Da ist kein Gefühl drin“ oder „strong“ geantwortet. Sie rief sogar ein Empörungsschreiben hervor, in dem ein Bauleiter sich und seine Arbeiter diskriminiert fühlte. In Kassel werden erstmals sämtliche Originale zu sehen sein.
Bei all diesen symbolisch aufgeladenen Arbeiten, deren aalglatte Ästhetik wie ein Minimalismus unter anderem Vorzeichen daherkommt, überrascht es, dass Bonvicini auch zeichnet: Schwarz getuschte One-Family-Häuser aus Amerika sind da von Hurrikans verwüstet – was 2008 für die erste New Orleans Biennale entstand, wirkt wie ein Sinnbild für die geplatzte Immobilienblase oder gleich für den Niedergang der USA im 21. Jahrhundert. „Ich habe schon immer gezeichnet“, sagt Bonvicini und erklärt, wie wichtig ihr die Nähe zu den Arbeiten und die Konzentration dabei sind. „Ich plane sogar eine reine Zeichnungsausstellung.“
Bedenkt man, dass sie gerade mit ihrer ersten dauerhaften Außenskulptur ein Mammutprojekt hingelegt hat – eine im Osloer Hafen treibende Reminiszenz an Caspar David Friedrichs „Eismeer (Die gescheiterte Hoffnung)“ (1823/24) aus Glas und Stahl, die einem Trümmerhaufen der modernen Architektur gleicht –, kann man den Wunsch nach Einkehr verstehen. Eine Einkehr allerdings, die vor allem ein Thema kennt: Zerstörung.
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