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Archiv-Artikel

Zu viel Luft dazwischen

DEBÜT Dorothee Elmiger erzählt in ihrem ersten Roman, „Einladung an die Waghalsigen“, von zwei Schwestern in der Schweizer Provinz – leider etwas zu dezent

Die stille, schweigsame Atmosphäre löst den Effekt aus, den LiteraturagentInnen und KritikerInnen schnell mit Poesie verwechseln

VON RENÉ HAMANN

Drei junge Menschen kommen aus der U-Bahn-Station und schlurfen anschließend über das flugzeugfreie Rollfeld des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Eine davon ist Dorothee Elmiger. Die anderen beiden werden nicht vorgestellt, es sind eine Freundin und ein Freund. Elmiger, Mitte zwanzig, gebürtige Schweizerin, redet im Off. Sie vergleicht das leere Rollfeld, den freien Flughafen mit dem Schreiben. Mit der Leere auf dem Blatt Papier. Die es zu füllen gilt. Aber schön, wenn man so viel Platz hat erst mal. Und so weiter.

Elmiger ist mit diesem Einspielfilmchen in Klagenfurt beim Bachmann-Wettbewerb angetreten, und dass diese redaktionell betreuten Filmchen schnell peinlich sein können, hat so manche Autoren in der Vergangenheit nicht gestört. Und die jeweiligen Karrieren erstaunlicherweise auch nicht. Man denke nur an den prätentiösen, lächerlichen, selbst gedrehten Film von Tellkamp zurück!

Egal. Elmiger hat sich für dezente Schwafelei entschieden. In Klagenfurt hat ihre Karriere trotzdem gut begonnen – sie stellte einen Romanausschnitt vor, galt sofort als Mitfavoritin, als neues Schweizer Fräuleinwunder, und am Ende wurde sie Zweite. Kelag-Preis. Und jetzt, keine drei Monate später, liegt bereits das Buch vor. Es heißt „Einladung an die Waghalsigen“, ein Titel, der leicht in die Irre führt und eigentlich nicht wirklich zu der Prosa Elmigers passt. Unter dem Titel steht „Roman“, und das ist im Grunde sehr übertrieben, denn die 144 Buchseiten sind sehr luftig bedruckt, mehr als luftig, auf mancher Seite steht nur ein Satz.

Worum geht es? Zwei Schwestern wohnen mit ihrem Vater, einem Polizeibeamten, in irgendeinem absterbenden Kaff vermutlich in der Schweiz, über einem stillgelegten Kohlebergwerk, in dem ein vor Jahren ausgebrochenes Feuer vor sich hin lodert und allmählich die Landschaft auffrisst. Die Ich-Erzählerin Margarete Stein beginnt nachzuforschen und vertieft sich in allerlei Fachliteratur. Bergbau, Montanwissenschaft, Geologie. Ihre Schwester Fritzi erkundet die Umgebung. Zu Fuß. Irgendwann erträumen sich beide einen alles löschenden Fluss. Dieser Fluss könnte Buenaventura heißen. Klingt schön exotisch und legendär. Am Ende bleibt den beiden Schwestern aber auch nur der Umzug in ein Hotel.

Ebenen. Metaphern. Analogien

Das war es im Prinzip. Miterzählt wird natürlich ein wenig eine Geschichte von Adoleszenz, von Familie und Bildung, von verlorenen Landschaften, von Isolation und höherer Gewalt. Es treten Gewährsleute auf, es werden ein paar wirklich schöne Sätze fallen gelassen, es wird viel zitiert. Die Sprache ist dezent, aber genau – entweder hat es sehr gute Lektoratsarbeit gegeben, oder Elmiger beherrscht ihren Stil tatsächlich so gut.

Die stille, schweigsame, nur durch Zitate und Exkurse erweiterte Atmosphäre, die atmosphärische Schilderung, löst natürlich den Effekt aus, den LiteraturagentInnen und KritikerInnen schnell mit Poesie verwechseln. „Poetische Weltverwandlung“, steht dann auch hinten im Klappentext.

Dies würde aber voraussetzen, dass jenseits der Verträumtheit und den mythischen Verweisen – Buenaventura! – tatsächliche Wortverwandlungsarbeit stattfinden würde. Die Verschiebung von Ebenen. Metaphern. Analogien. Dem ist aber nur in sehr dezenter Weise so, was wiederum fast schon wieder für diesen Roman spricht.

Es ist, wertungsfrei, ein sehr vorsichtiges Buch, das die junge Schweizerin, die mittlerweile in Berlin wohnt, wo sonst, und es zwischendurch auch einmal in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut versucht hat, hier vorlegt. Man kann es nicht misslungen nennen; allerdings ist es für einen Roman zu luftig. Es ist eine Erzählung, mit der man in Klagenfurt durchaus zu Recht einen Preis bekommen kann. Tendenziell vorhersehbar, aber keineswegs schlecht. So ist es.

Abzuwarten bleibt natürlich der weitere Werdegang der Autorin. Es wird bestimmt noch Preise und Stipendien geben, sitzt man erst einmal im Karussell, fliegt man so schnell nicht mehr raus. Entscheidend ist aber trotzdem auf dem Flugplatz: Den gilt es, greifen wir die Analogie mal auf, zu füllen. Ein paar nach Kunst aussehende Skulpturen in kilometerweiter Entfernung voneinander aufzustellen, reicht auf Dauer nicht. Das Volk der Lesenden will mindestens eine Stadt. Aus Literatur.

■ Dorothee Elmiger: „Einladung an die Waghalsigen“. Dumont, Köln 2010, 140 Seiten, 16,95 Euro