: Pillen vom Grabbeltisch
Discount-Apotheken können auf wachsende Kundschaft hoffen und beunruhigen die Konkurrenz. In Niedersachsen haben sie es künftig schwer: Über Neueröffnungen entscheiden die Etablierten
von JESSICA RICCÒ
Der gute Bärlauchkäse ist gerade im Angebot, also kauft man gleich zwei Packungen. Aber funktioniert dasselbe Prinzip auch mit Medikamenten? Im europäischen Ausland zumindest belegen Studien, dass der Konsum rezeptfreier Medikamente durch Discounter-Apotheken angestiegen ist. Magdalene Linz, die Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, beklagt den Wettbewerb zwischen traditionellen Apotheken und den neuen Billig-Anbietern. Arzneimittel seien eine „Ware der besonderen Art“, sagt sie, und sollten nicht „reklamenhaft“ beworben werden. Zudem könnten weniger kostenfreie Beratungsgespräche angeboten werden, wenn man Personal einspare.
Anders sieht es Martin Klein: Der Apotheker gründete vor zwei Jahren den Discounter „easyApotheke“ und betreibt mittlerweile vier Filialen in Emden und Hannover. Er hält mehr Wettbewerb in der Pharmabranche für unumgänglich: In Deutschland gebe es zu viele Apotheken. Eine Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung könnte Klein nun einen Strich durch die Rechnung machen: In Zukunft wird nicht mehr wie bisher die Bezirksregierung über die Zulassung neuer Apotheken entscheiden, sondern die Apothekerkammer.
Dadurch sei der „Bock zum Gärtner“ gemacht worden, findet die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Ursula Helmhold. Die Versicherten koste der fehlende Wettbewerb unter den Apotheken bis zu zwei Milliarden Euro im Jahr. Helmhold fordert die Landesregierung deshalb auf, ihren Spielraum zu nutzen.
Bisher hatten die angestammten Apotheken kaum Möglichkeiten, sich gegen die Discounter zu wehren. Mit Kundenkarten für die Stammkundschaft soll die Abwanderung verhindert werden. Besonders ausgefuchst stellt es die „Ernst-August-Apotheke“ in Hannover an: Wer sich zu ihrer „Happy Hour“ mit Schmerztabletten und Nasentropfen eindeckt, erhält 10 Prozent Rabatt.
Von der Selbstbestimmung der Preise sind jedoch nur bestimmte Medikamente betroffen: So genannte „Over-The-Counter“-Präparate, apothekenpflichtige Mittel also, die ohne ärztliche Verschreibung direkt über die Ladentheke gehen. Die Nachfrage an rezeptfreien Medikamenten ist im Zuge der Gesundheitsreform gestiegen. Viele Käufer sparen lieber erhöhte Zuzahlungsgebühren und die Praxisgebühr, indem sie sich selbst mit Medikamenten versorgen. Dabei wird häufig übersehen, dass leichte Medikamente wie etwa Hustensäfte zwar Symptome bekämpfen, aber keine Erkrankung heilen.
Eine gesonderte Beratung zu den Neben- oder Wechselwirkungen dieser Produkte können besonders Internetapotheken nicht anbieten. Eine Studie der „Forschungsgruppe Wahlen“ indes ergab, dass sich nur 39 Prozent der Käufer die Beipackzettel durchlesen. Um die Beratung in Apotheken zu verbessern, bietet die Apothekerkammer Niedersachsen in Zusammenarbeit mit dem Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin „Pseudo-Customer-Gespräche“ für teilnehmende Apotheken an. Dabei testen Scheinkunden die Beratungsqualität.
Martin Klein sieht sein Beratungsangebot durch seine günstigen Medikamentenpreise nicht gefährdet. Auch easyApotheken bieten Beratungsnachmittage für Diabetiker und Blutdruckmessungen an. Seine Kunden leiden jedoch größtenteils auch nicht an chronischen Erkrankungen. Die meisten kaufen nach Kleins Aussage leichte Schmerzmittel – oder etwas gegen Erkältungen.
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