: Outing wäre Selbstmord
Er ist das letzte Reservat des Heterosexuellen: der Fußballplatz. Ist die Bundesliga also eine homofreie Zone? Ausgeschlossen. Wäre es dann nicht an der Zeit, dass sich endlich mal ein schwuler Fußballer outet? Unmöglich
VON JAN FEDDERSEN
Die hässliche Seite des Fußballs ist Spiel für Spiel, von der Kreisklasse bis zur Bundesliga, vor allem beim Publikum kennen zu lernen. „Schwule Sau“, wird der Schiedsrichter geschmäht, wie auch Spieler einer jeden gegnerischen Mannschaft. Exbundestrainer Jürgen Klinsmann bekam die abgemilderte Variante zu hören, „Warmduscher“ hieß man ihn, als er noch spielte, seiner geschmeidigen Spielweise wegen – und der langen Haare, die ihn mehr nach einem Engel aussehen ließen, nicht jedenfalls nach einem Kerl, der sich aufs Blutgrätschen versteht. Schwul zu sein ist das Allerletzte – die nicht nur rüde attackierende Nähe zum anderen Mann, zu Männern überhaupt. Immer noch sind die Verhältnisse so: Der Fußball ist das allerletzte Reservat purer Heterosexualität. Beim Kick darf ausgelebt werden, was nirgendwo sonst noch gelingt, nicht in der Politik (Wowereit, von Beust, Westerwelle), selbst beim Militär nicht, wo ein Erlass Homophobie geißelt.
Beim Fußball hingegen, zumal bei der elitären Sorte, die in Form der Bundesliga heute in ihre neue Saison geht, ist alles noch wie früher. 22 Männer spielen gegeneinander, regelgerecht eingehegt von drei Schieds- wie Linienrichtern. 18 Mannschaften sind Teil der höchsten deutschen Liga – und da es die wichtigste Sportart des Landes ist, die populärste, jene, deren Geschehen Tag für Tag durch eine Fülle von Medien gespiegelt und befördert wird, ist sie der heißeste Fokus des gesellschaftlichen Interesses an sportiver Unterhaltung. Über 400 Männer stehen in der ersten Liga unter Vertrag; rechnet man alle professionell tätigen Fußballer zusammen, von den Oberligen bis zur Bundesliga, sind es knapp 2.000 Männer, die jeden Tag Futter für Geschichten liefern. Fußball der Männer – eine delikate Veranstaltung, denn ihr Tun lebt gerade von einer körperlichen Nähe, wie sie in keinem Büro, an keinem Arbeitsplatz oder sonst wie auf gesellschaftlichem Parkett möglich (oder gar erwünscht) ist. Anders als beim Volleyball ist Fußball körperlich, lebt vom Kampf, ist der Ball umstritten – und gelingt ein Tor, fallen dem Torschützen seine Mannschaftskameraden um den Hals, als begännen sie eine Orgie.
Und weil das so verdächtig nach Sexuellem aussieht, besser: die Bilder davon so gelesen werden können, ist der Fußball allenfalls eine homosoziale, niemals eine homosexuelle Veranstaltung. Homosozial meint, dass das Tun der Mannschaft ausschließlich ein biologisches Geschlecht, das des Mannes, in sich trägt, das Sexuelle jedenfalls nicht. Fußball lebt von der insgeheimen Verneinung mannmännlichen Begehrens – weshalb in den Umkleidekabinen dröhnend-ängstlich gescherzt wird, man könne, würde man einen Mannschaftskameraden als schwul erkennen, sich ja nicht mehr nach der Seife bücken.
Dass sich hinter diesem Spruch eine lustvoll aufgeladene Angst vor dem Analen verbirgt, mag als Binsenweisheit gelten. Aber sie wird nicht anerkannt. Lothar Matthäus, der so gern den Job gemacht hätte, den schließlich Klinsmann bekam, Bundestrainer nämlich, bekundete vor zehn Jahren, ein Schwuler könne nicht Fußball spielen. Sie können sehr wohl, weiß die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling. „Schwule sind so männlich geprägt wie andere auch. Sie wachsen je nach familiärem Hintergrund männlich auf – und interessieren sich für Fußball.“ Aber sie fänden in der Öffentlichkeit nicht statt, „und sie wollen auch nicht riskieren, als schwul geoutet zu werden“. In den deutschen Profiligen müsse es 100 Männer geben, die schwul sind. Und doch ist dies von keinem bekannt. Von keinem einzigen. Nicht einmal qualifizierbare Gerüchte existieren – aber Corny Littmann, Theaterintendant aus Hamburg und Präsident des FC St. Pauli, bestätigt sie. „Ich weiß von schwulen Spielern“, aber er würde einen Teufel tun, ihre Namen zu verraten. „Sie wissen alle, dass sie sich nicht mehr auf ihren Beruf konzentrieren könnten, würden sie sich outen.“ Opfer wären sie von Boulevardjournalisten, vom Schmäh der Fans jener Mannschaften, gegen die ihre Mannschaften spielen – und gewiss auch von Kollegen aus der eigenen Equipe, die sich möglicherweise weigern würden, nach dem Spiel mit ihrem schwulen Kollegen zusammen ins Erfrischungsbecken zu steigen.
Gemunkelt wird freilich immer. Die beliebtesten Tratschgeschichten sind freilich alle ohne echtes Futter in den Erzählschleifen. Jürgen Klinsmann soll bei der WM 1990 Besuch aufs Zimmer bekommen haben – und, so geht die Fama, die Bild-Zeitung ein Dossier über ihn in der Schublade haben, das ausgeplündert worden wäre, hätte die deutsche Mannschaft jüngst nicht das Viertelfinale erreicht. Auch wird, unter Fans, unter Schwulen, behauptet, der Exberliner Marcelinho sei des freieren Lebens wegen gern mal nach Hamburg gefahren; ebenso früher Spieler von Borussia Dortmund in die Homoszene Kölns. Auch Spieler wie Thomas Berthold oder Oliver Bierhoff standen immer im Ruch, möglicherweise verkappt schwul zu sein – vom Wahrheitsgehalt abgesehen, wohl genährt aus dem akkurat gefönten Bild, das beide stets auf dem Platz verkörperten: Sie wie andere eher modische Figuren eher das Gegenbild zu knurpseligen Gestalten wie einst Uwe Seeler, Gerd Müller oder später Pierre Littbarski, Berti Vogts oder Rudi „Käthe“ Völler.
St. Paulis Corny Littmann hält die Idee, schwule Fußballfans interessierten sich zunächst für die Spieler als Sexualobjekte, für leeren Wahn. „Ich interessiere mich für Fußball, und außerdem bin ich schwul. Basta.“ Als Präsident des irgendwie linksalternativen Klubs aus Hamburg lege er Wert auf eine Stadionkultur am Millerntor, die rassismusfrei wie bar aller Homophobie ist. Es werde, „realistisch betrachtet“, noch sehr lange dauern, ehe auch in anderen Stadien eine solche Moral gelte.
Dabei fehlt es nicht am Wohlwollen. „Es gibt immer mehr Menschen, die schwul sind, sicher auch Spieler der Bundesliga“, sagt Hertha-BSC-Nationalspieler Arne Friedrich, er kenne zwar keinen, aber so rein theoretisch sei das doch klar. Drei Bundesligavereine, immerhin, haben in ihren Fanreihen schwule Fanklubs, die Hertha-BSC-Junxx, vom Verein offiziell gefördert, Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart außerdem. Gerd Eiserbeck, Chef der Hertha-BSC-Junxx, hätte nichts dagegen, würde sein Verein den ersten schwulen Spieler promoten, „aber das ist nicht drin, keiner will Versuchskaninchen sein“. Ein offen schwuler Spieler – „der kann sich erst mal vor Aufmerksamkeit nicht retten – aber jedes Tor, das er mitverschuldet, wird ihm von den eigenen Fans übel genommen“.
Trotzdem gibt Eiserbeck zu bedenken, dass „man ja auch in der Politik, bis Wowereit Klartext geredet hat, nicht gedacht hat, dass sich die Verhältnisse mal ändern“. Eine vielleicht zutreffende Beobachtung, zumal ein Spieler, der von den Fans des Gegners mit homophoben Sprüchen bedacht wird, unbedingt auf die Solidarität der eigenen Fans rechnen kann. Eiserbeck: „Es braucht eigentlich nur einen, der sich traut. Der so gut ist, dass ihm alles andere scheißegal ist. Der so klasse spielt, dass sich schwulenfeindliche Geschichten aus der eigenen Mannschaft nur rächen würden – denn man braucht ja jeden Spieler.“
Eine blanke Hoffnung freilich, nicht mehr. 10 von 18 Bundesligavereinen sind befragt worden, ob sie bereit wären, einen offen schwulen Spieler zu engagieren. Geantwortet hat keiner. Recherchen bei den Klubs selbst, bei Spielern, stets mit der Zusage, sie nicht zu zitieren, würden sie wenigstens einen homosexuellen Spieler nennen, scheiterten fast vollständig. Nur einer hat geantwortet und einen Mannschaftskameraden genannt. Mit dem schlafe er bei Auswärtsspielen immer in einem Zimmer, „aber der war so eingeschüchtert“. Als er ihm sagte, es mache doch nichts, einen Freund zu haben oder wenigstens mal um die Häuser zu ziehen, sagte der nur zu ihm: „Ich bin dann erledigt. Meine Familie würde mit mir nicht mehr sprechen.“ Seinen Namen jedenfalls wollte der Bundesligaprofi auf keinen Fall gedruckt sehen: „Ich oute nicht. Ist mein Name bekannt, kann man zwei und drei zusammenzählen. Mein Mannschaftskamerad spielt einfach zu gut. Das will ich nicht gefährden.“
Der internationale Fußballverband Fifa jedenfalls ahnte wohl schon vor sieben Jahren, dass man in den Leiberknäueln nach Torerfolgen auch Erotisches entdecken kann – und verbot allzu intensive Herzereien des Torschützen. Und untersagte zugleich, dass die Spieler nach einem Treffer sich die Trikots wie bei einem Strip vom Leib reißen: Der Schein des Nonsexuellen soll auf jeden Fall gewahrt werden.
Anmerkung der Redaktion: Lothar Matthäus lässt uns jetzt wissen, dass er nie gesagt hat „Ein Schwuler könne nicht Fußball spielen“. Die Redaktion, 15.1.2014.