: Die falschen Freunde
Nicht erst seit dem Libanonkrieg liegen Israel und die USA politisch ganz auf einer Linie. Doch auf beiden Seiten mehren sich die Stimmen, die diese Allianz für gefährlich halten
Die fast vollständige politische Übereinstimmung zwischen Israel und den USA, die sich aktuell in der offenen Unterstützung der US-Regierung für den israelischen Feldzug im Libanon zeigt, sorgt nicht nur in Europa für Befremden. Auch in den USA und in Israel sind bereits Stimmen laut geworden, die diese Allianz für gefährlich halten.
In den USA hat vor allem ein Artikel der beiden angesehenen Harvard-Professoren John Mearsheimer und Stephen Walt über den Einfluss der „Israel-Lobby“ hohe Wellen geschlagen. In ihrem Essay argumentieren sie, dass die besondere Beziehung der USA zu Israel weder auf strategische Interessen noch auf geteilten ethischen Prinzipien gründe. Denn Israel sei kein Alliierter im „Kampf gegen den Terror“. Vielmehr rufe es diesen durch seine Politik oft erst hervor und sei ein Grund für die wachsende Entfremdung zwischen den USA und den arabischen Staaten.
Auch eine besondere moralische Grundlage für das Verhältnis ziehen die beiden Autoren in Zweifel: Israel sei in seiner Existenz nicht so gefährdet, dass es der besonderen Hilfe durch die USA bedürfe, sondern vielmehr die stärkste Militärkraft in der Region. Außerdem sei Israel weit von den amerikanischen Idealen entfernt, da es etwa seine arabischen Staatsbürger diskriminiere und einen gerechten Frieden mit den Palästinensern ablehne.
Die proisraelische Politik der USA, behaupten sie, sei fast zur Gänze innenpolitischen Motiven geschuldet. Eine Schlüsselrolle hierbei spiele die Israel-Lobby: Sie habe es geschafft, israelische und amerikanische Interessen als komplett identisch darzustellen, während sie in Wahrheit die USA dazu verführt hätten, mit ihrer Politik im Nahen Osten gegen die eigenen Interessen zu verstoßen. Gelungen sei dies durch politischen Lobbyismus in Washington und die Durchsetzung eines proisraelischen Diskurses in den Medien und an den Universitäten.
Mearsheimer und Walt waren mutig genug, ein ernstes und reales Problem anzusprechen und sich dem erwartbaren Sturm der Entrüstung mit seinen vorhersehbaren Antisemitismus-Vorwürfen auszusetzen. Die Tatsache, dass ihr Artikel nicht in den USA, sondern zunächst nur in der britischen London Review of Books erscheinen konnte, schien ihre Thesen zu untermauern. Doch sie täuschen sich, wenn sie davon ausgehen, dass sich die USA zu sehr von israelischen Interessen leiten lassen. Denn das Gegenteil ist auch richtig: Israel ist auch ein Werkzeug der Nahost-Politik der USA: Es war und ist ein Bollwerk gegen einen arabischen Nationalismus, der nach mehr Unabhängigkeit verlangt, und ein verlässlicher Partner für amerikanische Hegemonialbestrebungen in der Region.
Mearsheimer und Walt haben zu Recht festgestellt, dass die Israel-Lobby keine einheitliche Bewegung sei, sondern ein Konglomerat bildet aus rechten think tanks, einzelnen Konservativen sowie Organisationen wie etwa dem American Israel Political Action Committee (Aipac), die keinesfalls nur aus Juden bestehen. Im Gegenteil: Die äußerst heterogenen jüdischen Gemeinden in den USA waren mehrheitlich gegen den Irakkrieg und befürworten eine Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern. Viele jüdische Organisationen sind zwar stramm proisraelisch, doch haben sie ihre Rolle als wichtigste Stütze der israelischen Politik an zwei Gruppierungen verloren, die heute in Washington den Ton angeben: an die christlichen Fundamentalisten und die Neokonservativen.
Die Evangelikalen nehmen die Bibel wörtlich und befürworten die Rückkehr aller Juden nach Israel – dies sei eine Bedingung für das Jüngste Gericht, an dem alle Juden zum Christentum bekehrt werden sollen. Die zionistischen Gründungsmythen von der Befruchtung des Landes Israel werden hier als eine Wiederholung der biblischen Besiedlung Kanaans durch die Hebräer gelesen und mit den eigenen puritanischen Gründungsmythen von der Besiedlung Amerikas in Verbindung gesetzt.
Die Neokonservativen wiederum plädieren für eine unilaterale Interventionspolitik, die mittels Krieg und „kreativer Destabilisierung“ unliebsame Strukturen aufbrechen soll, um weltweit neue, proamerikanische Regierungen – wenn möglich – auf demokratischem Wege zu installieren. Im Zentrum steht dabei die Idee eines „Neuen Nahen Ostens“. Im Freund-Feind-Schema beider Gruppierungen gilt Israel als Bollwerk gegen das Böse – als ein Land, das wie die USA a priori nur nach dem Guten trachtet. Doch zugleich bildet Israel nur ein Puzzleteil in einem größeren Programm.
In Israel wiederum hat die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Elite zwar erkannt, dass die mittlerweile vierzig Jahre währende Besetzung der palästinensischen Gebiete nicht länger haltbar ist. Doch angefeuert durch die Unterstützung aus den USA unternimmt Israel den Versuch, sich gewisse Teile der Westbank einzuverleiben und die Grenzfrage unilateral festzulegen. Dass dies der Idee eines gerechten Friedens widerspricht und den Palästinensern ein Gebiet überlässt, das den Aufbau eines lebensfähigen Staats unmöglich macht, wird durch die Verteufelung der anderen Seite vom Tisch gefegt. So greifen die israelische und die amerikanische Politik wie Zahnräder ineinander, und beide Seiten ermutigen sich gegenseitig, ihre jeweiligen Interessen unilateral und mit Gewalt durchzusetzen. Legitimiert wird dies durch die selbstgerechte Behauptung, die eigene Position würde einem durch einen Gegner aufgezwungen, der rein irrational und böswillig agiere.
Die israelisch-amerikanische Allianz ist jedoch für beide Seiten inzwischen zu einem Sicherheitsrisiko geworden. Israel ist zwar ein verhältnismäßig reiches Land mit intakten zivilen Strukturen, dazu eine mittelgroße Militärmacht. Doch es bleibt ein kleines Land, das auf lange Sicht auf ein Auskommen mit seinen Nachbarn angewiesen ist. Seine durch US-Unterstützung angefachte Hybris kann es sich kaum leisten. Die USA wiederum werden nicht nur im Nahen Osten daran gemessen, wie sie sich gegenüber Israel verhalten. Ihre doppelten Standards entziehen ihnen jede Glaubwürdigkeit und führten zum kompletten Verlust ihrer Vermittlerfähigkeiten.
Diese Hegemonialpolitik lässt ihren Gegnern nur die Alternative zwischen kompletter Selbstaufgabe oder radikalem Widerstand. Europa aber hat viel zu verlieren durch die Schwächung der progressiven Kräfte in der arabischen Welt. Doch wenn es sich auf seine Stärken besinnt, kann es auch ein Beispiel sein für eine andere Politik: Schließlich basiert auch die europäische Nachkriegsordnung auf dem Prinzip der Multilateralität.
Dafür müsste sich Europa von den USA emanzipieren und auf eine Politik verständigen, die auf kritische Distanz zu Israel geht. Leider sind gerade die deutschen Eliten dabei, ihre traditionell friedensorientierte Nahostpolitik zugunsten einer stärken Anlehnung an die USA aufzugeben – auch aus einer falsch verstandener Solidarität mit Israel heraus, deren Kehrseite eine wachsende Islamophobie ist.
TSAFRIR COHEN