: Über schlüpfrigem Grund
BEWEGUNGSFORSCHUNG Die Wiederentdeckung der Seifenoper: Im Mousonturm Frankfurt wird Schaum zum Element, aus dem Tanz und bildende Kunst neue Bilder schöpfen
VON ESTHER BOLDT
Schaum quillt herab. Rauschend legt er sich in Schleifen, breitet sich aus und wirft glitzernde Blasen ins Dunkel. Genüsslich kündigt sich die Schaumparty an, zu der „Soapéra“ von Mathilde Monnier, Choreografin, und Dominique Figarella, bildender Künstler, werden wird.
Bei der Deutschlandpremiere im Frankfurter Mousonturm glimmt noch das Licht im Zuschauerraum, während sich im Dunkel der Bühne diese amorphe Masse ausbreitet, die zahllose Assoziationen weckt, vom Baiser über das Luftkissen bis zur Kumuluswolke. Sie erinnert an die Regenschauer und Konfettikaskaden der Bühnenbildnerin Katrin Brack; aber diese Schaummasse ist selbst Akteur, ein diffus bewegter Riesenkörper.
In ihrer Zusammenarbeit mit Dominique Figarella erkundet die Choreografin Monnier die Bewegtheit, Temporalität und Verwandlungsfähigkeit von Materie – und ihre Fähigkeit, stetig neue Bilder zu entwerfen. Zwei Tänzer huschen herein, setzen sich an den Rand und verschwinden schließlich unversehens in der Masse. Bewegt sich da was? Hier und da wogt eine Welle empor, lösen sich Flocken heraus, gelegentlich blitzen Körperteile auf und verschwinden wieder. Alles geschieht wie in Zeitlupe.
Dazu dräuen leider recht willkürlich wirkende elektronische Klänge an der Grenze von Musik und Geräusch, wie sie gerade allzu hip sind im Theater: ein Sirren, ein Fiepen, ein dumpfes Brummen an der Wahrnehmungsgrenze, das dem Stück bloß ein diffuses Störgeräusch hinzufügt – einziger Störfaktor eines durchweg spannenden Theaterabends.
In Deutschland ist Mathilde Monnier noch immer selten zu Gast, in Frankreich gilt sie als eine der interessantesten Vertreterinnen des zeitgenössischen Tanzes. Seit 1994 leitet sie das renommierte Centre Choréographique National in Montpellier. Nach dem Prinzip der wechselseitigen Übersetzung zwischen den Disziplinen hat sie in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen Künstlern zusammengearbeitet, beginnend mit dem Regisseur und Komponisten Heiner Goebbels für „Les lieux de là“ 1998–1999: ein Abend, der die Beziehungen zwischen Musik und Tanz wie zwischen den Körpern auf der Bühne erprobte.
Die Luft zur Erscheinung bringen
Seither hat sie unter anderem mit der Filmregisseurin Claire Denis („Vers Mathilde“, 2005), der Romanschriftstellerin Christine Angot („La Place du Signe“, 2005) und mit dem Popmusiker Philippe Katerine („2008 Vallée“, 2006) gearbeitet. Berührungsängste scheint sie nicht zu kennen. „Soapéra“ soll zum offenen Laboratorium werden und Einblicke in einen künstlerischen Dialog geben. Hierfür haben Figarella und Monnier, wie sie im anschließenden Publikumsgespräch erzählen, gemeinsam die Proben geleitet und sich Fragen gestellt, die unterschiedliche Künste medienübergreifend betreffen. Zum Beispiel: „Wie kann man Raum konkret machen? Wie die Luft zum Erscheinen bringen?“ Obgleich „Soapéra“ solche Fragestellungen sichtbar macht, ist es nicht allein ein formales Experiment.
Denn allmählich lösen sich die Tänzer aus dem Schaum, seine Fläche reißt auf, die Raumskulptur flockt träge auseinander, und der Boden wird sichtbar. Ein Tänzer versucht, sich zu erheben, sein Nachbar drückt ihn nieder. Wange an Wange, Nase an Nase schieben sich zwei andere mit hastigen Schritten über die aufklaffende Fläche. Eine weiße Platte wird sichtbar, die im Folgenden als Tisch und Leinwand, als Stütze und Waffe verwendet wird. Turnschuhe quietschen durch die schlüpfrige Lauge, die jeden Schritt determiniert und bei ausgreifenden Gesten Gefährdung mit sich bringt.
Der seifige Grund ist ein Konfliktfeld, das einer sorgfältigen Untersuchung bedarf, neugierig tastend, vorsichtig stockend, mit plötzlich herausbrechender Aggressivität, wenn ein anderer im Weg ist. Und auch dem Zuschauer beißt Seifengeruch in der Nase, einmal stiebt ein Flockenwirbel über das Publikum, landet auf Händen und Häuptern, wo er sich knisternd auflöst.
Zurückgestoßen in die Einsamkeit
Für den Grenzgang von bildender und darstellender Kunst ist der Schaum eine dankbare Materie. Seine Zeitlichkeit und seine still wabernden Bewegungen sind höchst performativ.
Wie die Schaummasse erst zerrissen wird, dann zerstückt zur Seifenlauge zergeht und das Imaginarium der Black Box wieder freigibt, so werden auch die durchnässten, blanken Körper, die aus der amorphen Masse erstanden, abgetrennt und am Ende fast gewaltsam in die Einsamkeit gestoßen. In der Poesie des Schäumens und Ausflockens verbergen sich Zuschaulüste und essenzielle Konfliktzonen. Und der Einblick in das künstlerische Labor schafft eine Ahnung, wie so weitere Erzählräume entdeckt und bespielt werden können.