Überohrs Factory

LANDKOMMUNE Castaneda lesen, Vögel beobachten, Haschisch rauchen und den alltäglichen Wahnsinn aus der Ferne verfolgen: Helmut Salzinger in Odisheim

In drei Büchern, die „Ohne Menschen“, „Gärtnern im Dschungel“ und „Moor“ hießen, dachte er sich das handelnde Subjekt weg

1970 gaben wir in Westberlin eine Zeitung namens Hundert Blumen heraus, die sich, ausgehend von Ton Steine Scherben, als Forum für nichtkommerzielle Rockbands verstand. In diesem Zusammenhang kam uns Helmut Salzingers Buch „Rock Power“ wie eine Generallinie unter. Ähnlich war es dann mit seinem Buch „Swinging Benjamin“, das der Verödung Benjamins durch universitäre Vereinnahmung entgegenwirkte.

Als ich 1976 aufs Land in Niedersachsen zog, erfuhr ich, dass Helmut Salzinger nicht weit von uns auf dem Land lebte. Weitere Berührungspunkte waren: Hilka Nordhausens Hamburger „Buch Handlung Welt“, ihr Mitarbeiter Michael Kellner, der Texte von Helmut Salzinger verlegte, die taz, der Verleger Werner Pieper und das Frankfurter „Bräunungsstudio Malaria“ von Indulis Bilzenz.

Einmal besuchte ich Mo und Helmut Salzinger in Odisheim. Wir saßen in der Küche und tranken Tee. Zwischendurch zeigte er mir den Garten. Danach bekam ich fast regelmäßig sein selbst kopiertes Fanzine Falk zugeschickt. Einige Male fungierte ich als Zwischenträger für einen taz-Artikel von ihm. Ich war unterdes im Vogelsberg gelandet, wo wir uns als „Agentur Standardtext“ vorwiegend mit „Kammlagenkritik“ befassten, auch hierüber gab es einen Austausch mit Helmut Salzinger. So gelangte in den Falk etwa ein Zitat von Herbert Achternbusch: „Da, wo früher Pasing und Weilheim waren, ist heute Welt. Die Welt hat uns vernichtet, das kann man sagen!“ Umgekehrt verfasste Mathias Broeckers eine enthusiastische Besprechung des Buchs „Der Gärtner im Dschungel“ von Helmut Salzinger in der taz. Mich hat dieses Buch erst sehr viel später interessiert – da lebten Helmut und Mo schon nicht mehr. Ihr gemeinsames Projekt auf dem Land hieß „Head Farm Odisheim“. Das ist „Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht“, wie Helmut Salzinger einmal erklärte.

Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen urbanen Wahnsinns, verfolgte den Vogelflug vom Garten aus, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig und dachte sich das handelnde Subjekt weg – in drei Büchern, die „Ohne Menschen“, „Gärtner im Dschungel“ und „Moor“ hießen.

Helmut Salzinger blieb dabei – und versuchte, die Landkommunenbewegung praktisch und literarisch bis zu seinem Tod zu vertiefen.

Aus dieser heute vor allem zeitlichen Tiefe kommen jetzt einige seiner damaligen Lesungen auf CD über uns (herausgegeben vom Verlag Peter Engstler), außerdem ein Regionalkrimi aus Dresden von Beate Baum, „Mörderische Hitze“. Die Germanistin lässt darin einen Merkur-Redakteur namens Helmut Salzinger von seinen eigenen Kollegen ermorden, weil er unkorrupt ist.

HELMUT HÖGE