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Archiv-Artikel

Für einen Schluck Caipirinha

Fast hat man sich daran gewöhnt, das Postfuhramt in der Oranienburger Straße nur provisorisch geöffnet zu sehen. Jetzt aber lässt ein neuer Eigentümer nach kurz- und langfristigen Nutzungskonzepten suchen. Allein die Akteure des Kulturlebens zögern

Es scheint nicht so leicht, „Generatoren für die Endnut- zung“ zu finden. Liegt es an den Ansprüchen der Inhaber?

VON JAN KEDVES

Die Zwischendecke kommt raus, so viel steht schon fest. Einst wurde sie eingezogen, um der Zugluft in der Schalterhalle der Post Herr zu werden, nun verschandelt sie das ganze Gebäude. Zumindest, wenn man der Ansicht ist, dass eine achteckige Tambourkuppel komplett einsehbar sein muss. Was sonst noch passieren wird im ehemaligen Kaiserlichen Postfuhramt, ist unklar.

Der Komplex an der Oranienburger Straße ist einer dieser Orte Ostberlins, die man doch immer wieder übersieht, weil man zu ihnen so selten Zugang hat. Seine mögliche Zukunft steht derzeit auf dem Prüfstand. Seit 1995 wird das Gebäude nicht mehr von der Post genutzt; zwischendurch hieß es, die Berlinische Galerie solle einziehen, doch eine Umbaufinanzierung gab es nicht. Erst im letzten Jahr kaufte ein „internationaler Immobilieninvestor mit Hang zur Kunst“ der Deutschen Post AG das Gebäude ab – angeblich für fast 15 Millionen Euro. Eine Summe, die man sicher nicht lockermacht, um den Komplex weiter vor sich hin dümpeln zu lassen.

So tut sich in dem Dreieck zwischen Oranienburger-, Tucholsky- und Auguststraße derzeit auch einiges. Erste Amtshandlung des neuen Besitzers, der mit Adi Keizman inzwischen auch einen Namen bekommen hat: eine Beleuchtung der Fassade installieren. Damit die Vorzüge der rot-gelben, mit Putten verzierten Klinkerarchitektur auch jene Amüsiertouristen beeindrucken, die nachts auf der unangenehm ballermannisierten Oranienburger Straße herumtorkeln. Zweite Maßnahme: Architekturbüros damit beauftragen, Pläne zur sanften Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes und zur Neubebauung des Hofes zu entwickeln. Zugleich sollten die Büros ein Zwischennutzungskonzept erstellen.

Zwischennutzung, das war in Ostberlin bis jetzt meistens eine wilde, ungelenkte, von allen möglichen kreativen Off-Szenen betriebene Angelegenheit. Nicht selten führte sie zur erheblichen Aufwertung eines Gebäudes oder auch ganzen Viertels. Im Postfuhramt gab es solche Nutzungen in den letzten Jahren auch: Der Gastronom Cookie eröffnete eine Bar, die Berlin Biennale bezog Ausstellungsflächen, Theater probten hier. Was also ist neu? Vielleicht, dass die Zwischennutzung von den Investoren nun gezielt als Imagekampagne eingesetzt wird. Dahinter Wertsteigerungspolitik zu vermuten, fällt nicht schwer. „Uns geht’s um den Inhalt“, versichert hingegen Ingo Pott. „Das Haus nur zu sanieren, nur hübsch zu machen, wäre zu einfach.“

Ingo Pott ist Architekt, hat lange für Norman Foster gearbeitet – unter anderem als verantwortlicher Projektarchitekt beim Bau der neuen Reichstagskuppel – und ist mit seiner Firma Pott Architects eines der zwei Architektenbüros, das vom neuen Inhaber des Postfuhramts engagiert wurde. Eine „Spannung zwischen Privat und Öffentlich sowie Alt und Neu“ schwebt Pott vor, mit neuen Wohnungen im Hof, für „urbane Menschen“. Vorsorglich hat er den Komplex auch schon umgetauft – „PFA Berlin“ heißt er nun. Das klingt griffig, weltmännisch und – „Peh-Eff-Aah“ – irgendwie auch blöd.

Gleichzeitig ist Ingo Pott einer der Gründer von c/o Berlin, der Galerie für Fotokunst, die vor kurzem ihren Sitz in der Linienstraße verlassen hat und ins Postfuhramt gezogen ist – als Zwischennutzer. Wenn Pott durch die neuen Ausstellungsräume führt, hört sich das, was hier passieren soll – abseits der geplanten Entfernung der Zwischendecke in der Kuppel –, eigentlich alles ganz gut an. Allerdings stellt sich beim Durchschreiten der Räume auch recht schnell jener Effekt ein, der zuletzt schon die Jüdische Mädchenschule in der Auguststraße als Ausstellungsort der Berlin Biennale problematisch machte: bröckelnder Putz, quietschender Linoleumboden, muffige Luft – man staunt eigentlich mehr über das Gebäude selbst als über die Kunst.

Noch erstaunlicher ist allerdings, dass es im Postfuhramt – obwohl das neue Zwischennutzungskonzept schon seit Anfang Juni läuft – noch nicht vor Zwischennutzern wimmelt. Neben c/o Berlin haben sich hier bislang lediglich die zuvor in der Eberswalder Straße zwischengeparkten Szene-Gastronomen vom „Rodeo-Club“ angesiedelt. Auf dem Hof haben sie eine Caipirinha-Lounge errichtet. Sie ist mit weißen Stoffbahnen abgehängt, die nun im Wind wehen. Ansonsten steht der Komplex leer, nach wie vor.

Es scheint nicht so leicht zu sein, weitere „Generatoren für die Endnutzung“, wie sie das Zwischennutzungskonzept verlangt, zu finden. Vielleicht liegt es an den Ansprüchen der Inhaber? Potenzielle Bewerber sollten jedenfalls schon „über die Experimentierphase hinaus sein“, meint Ingo Pott. Gesucht seien Akteure des Berliner Kulturlebens, die in der Stadt „bereits etwas bewegt“ hätten und bei denen man davon ausgehen könne, dass sie nach der Sanierungs- und Umbauphase in zwei Jahren auch bleiben wollten. Also irgendwie doch gar keine richtige Zwischennutzung? „Nach der Transformation sind hier ganz andere Mieten fällig“, ist sich Ingo Pott schon sicher.

Möglicherweise könnte also genau jetzt der richtige Zeitpunkt sein, das Postfuhramt noch einmal in seiner ganzen verranzten Pracht zu besichtigen. Bevor demnächst kühler Stahl-, Glas- und Beton-Schick das Bild bestimmt – und es in der Schalterhalle wieder zieht.