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Archiv-Artikel

Frühstück in Frieden

Die Medienberichte über die jüngste Eskalation zwischen Israel und der arabischen Welt folgten der üblichen Dramaturgie. Ihr Kern heißt fundamentalistischer Humanismus: Krieg ist böse, Opfer sind unschuldig. Wie entpolitisiert ist unsere Öffentlichkeit?

Es ist Krieg. Aber keine Feinde weit und breit. Nur Menschen, die platt gesagt, in Frieden frühstücken wollen

VON KATHARINA RUTSCHKY

Eine Neuigkeit ist es ja nicht, dass der Staat Israel in einem Dauerkonflikt mit der, nun ja, arabischen Welt lebt. Am Tag nach seiner Gründung 1948, die von den Vereinten Nationen eigentlich als Parallelaktion zur Gründung eines ebenso neuen palästinensischen Staates projektiert war, versuchten arabische Armeen, die israelische Staatsgründung rückgängig zu machen. Weitere Kriege folgten, die Israel, nun ja, gewonnen hat. Aber der Konflikt ist geblieben und gerade wieder dramatisch eskaliert, inzwischen noch vertieft durch einen militanten und terroristischen Islam, der sich nicht nur in der Region als einziges politisches Medium in durchweg unterentwickelten Gesellschaften etablieren konnte.

Für uns in Deutschland ist der jüngst eskalierte Konflikt seit Wochen allerdings ein Medienereignis, über das inzwischen mit merklich abnehmender Intensität informiert, aber weiterhin umfassend kommentiert wird. Man tut mich hoffentlich nicht von vornherein als Zynikerin ab, wenn ich das zum Anlass nehme, über die Entpolitisierung der Öffentlichkeit und die Strategien nachzudenken, mit denen die Medien sie befördern. In der Regel ohne Absicht – bewusst allenfalls mit den besten. Sooft Marshall McLuhan zitiert wird – das Medium ist die Botschaft, also die Form macht den Inhalt –, so gründlich und ausdauernd wird er täglich ignoriert.

Bettina Gaus hat in einem Kommentar in dieser Zeitung zu Recht darauf hingewiesen, dass der unerklärte Krieg im Nahen Osten nur einer von vielen ist, die auf der Welt gerade stattfinden. Kriege mit vielen Opfern, Kriege des neuen Typs, die nicht zwischen Staaten, sondern Ethnien und Religionen, Mächtigen und Minderheiten, Guerilla und „regulären“ Streitkräften ausgetragen werden. Darunter viele, die ebenso lange dauern wie der Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn.

Man könnte die Selektivität der Wahrnehmung mit dem Argument verteidigen, dass wir aus bekannten historischen Gründen zum jüdischen Staat Israel ein besonderes Verhältnis haben müssen. So wenig wie für Geschichte interessieren sich aber die Medien für Politik, ganz im Einklang mit dem gesunden Volksempfinden, Leserbriefschreibern und jener überkonfessionellen Initiative von Intellektuellen, die gerade Anzeigen geschaltet hat: „Kein Krieg!“ Und die sich so arglos gegen die Vereinnahmung kultureller und religiöser Traditionen durch „geostrategische“ Interessen verwahrt, als wüssten sie so wenig wie Lieschen Müller etwas von dem Preis, den Europa für seinen Religionsfrieden und die Anerkennung der Menschenrechte in seiner Geschichte hat zahlen müssen.

Die Berichterstattung vom Schauplatz hat zur Leitlinie der Kriegserzählung einen humanistischen Fundamentalismus, der dem islamistischen und arabischen Fundamentalismus der Hisbollah parallel läuft. Die Botschaft der Medien, in Worten oder effektiver noch in Bildern vermittelt, ist immer dieselbe. Gewalt ist böse, militärische schon gar keine Lösung, sondern das zu beseitigende Problem. Man vergisst, dass etwa Hitler-Deutschland nur durch eine ziemlich unheilige Koalition zwischen den westlichen Alliierten und Stalins Russland niedergekämpft werden konnte.

Zum humanistischen Fundamentalismus gehört aber auch, dass die Hisbollah, die Palästinenser, ja die arabische Welt insgesamt quasi infantilisiert wird. Edward Said, der scharfe Kritiker des westlichen „Orientalismus“ hätte, wenn er noch lebte, viel Gelegenheit, unsere eurozentrischen Vorurteile zu beleuchten. Wird die Hisbollah, werden die Verlautbarungen ihres Chefs Nasrallah und die Taten seiner Anhänger in der humanistischen Berichterstattung nicht so behandelt, als hätte es Israel mit einer Jungensbande zu tun, die es auf ärgerliche Klingelscherze, aber nicht auf die Vernichtung Israels abgesehen hat? Wären die Israelis vernünftig, so, wie wir es von ihnen, und nur von ihnen, verlangen, müssten sie mit der Hisbollah oder Hamas doch anders umgehen können, als mit „unverhältnismäßiger“ Gewalt auf ihre kindischen Provokationen zu reagieren.

Mag Israel von seiner modernen und im Nahen Osten beispiellos guten sozialen Organisation neben seiner militärischen Stärke bisher Vorteile haben, in der Kriegserzählung des humanistischen Fundamentalismus greift das Schema von David und Goliath. Je jünger und dümmer man ist, desto mehr hält man es mit den Kleinen und Losern seit den Tagen, als das Palästinensertuch populär wurde und unsere RAF sich bei der PLO stärkte.

Wenn es in den Hauptoperationsgebieten der Hisbollah, trotz ihrer politischen Vertretung in der libanesischen Regierung eine nichtlegitime bewaffnete Nebenregierung, jetzt zu so viel mehr Opfern in der Zivilbevölkerung kommt als im angegriffenen Israel, so hat das damit zu tun, dass Israel seit Jahrzehnten Vorsorge für die Bevölkerung getroffen hat. Während die Hisbollah ihre im Gegenteil als Geisel und Schutzschild missbraucht – die Toten als Märtyrer heiligt. Bei uns wird aber gerechnet, da kommen Zahlen an und Zahlen lügen nicht.

Dabei ist es nicht neu, dass seit dem Zweiten Weltkrieg Nichtkombattanten in allen modernen Kriegen die höchste Zahl an Opfern zu bringen haben. Irreführend und unpolitisch ist das Schema der unschuldigen Opfer, vorzüglich die in Wort und Bild so gern präsentierten Frauen und Kinder. Wer, der die so oft gezeigten weinenden Mütter und toten Kinder gesehen hat, will sich nicht auf die Seite des humanistischen Fundamentalismus schlagen? Und seinen umstandslosen Sieg sofort verlangen: „Kein Krieg!“ Nur eine herzlose Rationalistin, ja Zynikerin kann dann darauf insistieren, dass die aktuelle Kindertotenquote erstens auf das Desinteresse der Hisbollah am Schutz ihrer Leute überhaupt zurückgeht und zweitens ihrer Alterszusammensetzung insgesamt so ungefähr entspricht. Im Nahen Osten, zumal bei den Palästinensern ist die Geburtenquote so hoch wie nirgends sonst auf der Welt. Erlaubt sich es ihre fundamentalistische Speerspitze deshalb, so leichten Herzens Kinder und Jugendliche zu opfern?

Unser fundamentalistischer Humanismus, von den Medien transportiert, kennt dagegen keine Feinde. Er geht auf Selbstanklage oder analysiert die Fehler, die Israel natürlich im Kampf um seine Selbsterhaltung ununterbrochen gemacht hat. Die anderen, die kriegführenden Staaten von 1948 bis zur PLO, Hamas oder Hisbollah werden als Rebellen, als letztlich unverantwortliche, sympathieheischende Kinder ausgeblendet. Wie man bei Carl Schmitt („Der Begriff des Politischen“, zuerst 1927) aber lernen kann, setzt Frieden oder auch nur temporärer Kompromiss eine Einsicht in das klare Feindverhältnis voraus. Das moderne Israel war von Anfang an ein Schmerz für die arabische Welt und ihre andauernde soziale und politische Unterentwicklung. Die Israelis haben, metaphorisch und unmetaphorisch gesprochen, die Wüste bewässert. Nur deshalb kristallisiert sich um diesen Staat, als eines Stellvertreters der Moderne, die Frustration impotenter Gesellschaften, deren Mitglieder gern auswandern, am liebsten nach den USA – angeblich der Satan.

Weil die Medien aber, wie nah sie mit den Kameras auch den Brennpunkten zu sein scheinen, nicht an Politik, sondern an Novität, Aktualität und Action interessiert sind, regredieren sie auf das das Allgemein-Menschliche, das in Mitteleuropa Standard ist. Warum jüngst ausgerechnet die UN-Geschäftsstelle in Beirut von Jugendlichen und Männern angegriffen wurde, erfährt der Betrachter nicht. In Seattle hat ein Araber eine Synagoge attackiert – angeblich aus Wut und Zorn wegen der israelischen Militärangriffe auf den Libanon. Solche Vorkommnisse werden berichtet, als ob ein natürlicher Volkszorn sich hier Luft machte. Keiner fragt, wie frei man in Beirut protestiert, schon gar nicht, warum ein Araber sein Glück in Seattle gesucht hat statt in Damaskus, Kairo oder eben Beirut.

Die Medien zehren vom Mythos der „arabischen Straße“, mangels anderer Beweise von Action-Bildern und Impressionen, nach denen der Hisbollah inzwischen eine Sympathie zugewachsen ist, die sie vor dem unerklärten Krieg nicht hatte. Der Chef von Hisbollah sei inzwischen ein Popstar, der dem Respekt vor dem Islam und den Interessen der arabischen Welt handfest Ausdruck verleiht. Wie nicht zuletzt die Berichterstattung über Kana und die Manipulation der Opferzahlen und Bilder zeigte, hat die Hisbollah die Potenziale jedenfalls erkannt, die in unserem fundamentalistischen Humanismus für sie zur Manipulation der öffentlichen Meinung bereitliegen.

Nebst den Bildern von klagenden Frauen und toten Kindern werden wir hautnah durch Interviews informiert. Geht es gerecht zu, trotz des Bonus für den Zwerg zuungunsten des Riesen, von beiden Seiten des Krieges. Menschen, die Angst haben, Menschen, die Tote beklagen, Menschen, die auf der Flucht sind, Menschen im Bunker. Menschen eben – oder sogar Kinder! Keine Feinde weit und breit. Nur Menschen, die platt gesagt, in Frieden frühstücken wollen. So anrührend diese Erzählung über den bösen Krieg und seine unschuldigen Opfer auch ist, so unpolitisch aber auch – um nicht zu sagen: verdummend.