piwik no script img

Archiv-Artikel

Dringlichkeit und Prominenz

ORGANSPENDE Vier Jahre musste Claudia Kotter auf eine Lungentransplantation warten. Am Samstag stellte sie ihr Buch vor. Kotters Stimme ist authentisch, der Einsatz von Schauspielerinnen ihrer Sache aber wenig dienlich

Vier Jahre lang lebt sie praktisch in der Charité. Von hier aus gründet die junge Frau den Verein „Junge Helden“

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Seit SPD-Chef Steinmeier in der vergangenen Woche verkündet hat, er wolle eine Auszeit nehmen, um seiner kranken Frau eine Niere zu spenden, ist das Thema Organspende wieder aktuell. Vielleicht war auch deshalb der Ansturm so groß, am Samstagabend in den Räumen des Blumenbar Verlags im ehemaligen WMF in der Klosterstraße. Dorthin hatte man zur Buch-Release-Party von „Gute Nacht bis morgen. Die Lebensgeschichte der Claudia Kotter“ geladen.

Claudia Kotter ist 1980 geboren. Es wäre ein wenig verfrüht, in diesem Alter schon seine Memoiren zu verfassen, hätte Claudia Kotter nicht schon einiges Erzählenswertes erlebt. Seit dem vierten Lebensjahr leidet sie unter Sklerodermie. Bei dieser seltenen Autoimmunerkrankung produziert der Körper zu viel Kollagen. Das führt zu einer Bindegewebsverhärtung, von der nicht nur die Haut, sondern auch die Organe betroffen sein können.

Seit 2003 verschlechtert sich ihr Zustand, die Lunge wird befallen. Es wird klar, dass Claudia Kotter ein Spenderorgan braucht. Lange Klinikaufenthalte sind die Folge, die junge Frau lebt praktisch in der Berliner Charité, bis nach vier Jahren Wartezeit ein Spenderorgan gefunden wird. Vom Krankenbett aus gründet sie den Verein „Junge Helden“, um das Thema Organspende in die Diskussion zu bringen.

Am Samstag sah man in den Verlagsräumen mit dem so berlintypischen abgeblätterten Zwischennutzungscharme viele halb bekannte Schauspielergesichter. „Sturm der Liebe“? „Brisant“? „Unter uns“? „Bravo TV“? Manche glaubte man aber auch nur zu erkennen, weil sie so ausgiebig fotografiert wurden oder weil sie sich so schauspielerhaft bewegten. Die Schoßhunddichte war beträchtlich, Hallos und Bussiküsse flogen durch die Luft. Wegen des großen Andrangs musste die Lesung per Beamer in die Nebenzimmer übertragen werden. Ein irgendwie auch bekannter Moderator („Hallo Deutschland“? „MDR“? „Viva 2“? ) führte durch den Abend.

Fünf Schauspielerinnen sollten aus dem Buch lesen, den Anfang machte Anna-Maria Mühe. Und hier begann der Abend problematisch zu werden. „Gute Nacht bis morgen“ ist eine Krankheitsgeschichte als Ich-Erzählung. Trotz der Zusammenarbeit mit der Autorin Anke Gebert bleibt diese Geschichte ganz dem Stil eines Erlebnisaufsatzes verpflichtet. Jede Veränderung des Zustands wird chronologisch aufgelistet, jeder Telefonanruf an Familie und Freunde ist dokumentiert. Berichte der Mutter, Geschwister, Freunde und Ärzte ergänzen den Text. Was aber beim Lesen des Buch trotz des Mangels an Stilwillen einen eigenen Sog ergibt, weil man die Stimme der Autorin in ihrer Dringlichkeit zu hören glaubt, funktioniert überhaupt nicht, wenn junge Schauspielerinnen, und seien sie auch noch so talentiert, ihre Betonung und Ergriffenheit mit einbringen.

Das Verfassen der eigenen Krankengeschichte ist ein relativ neues Genre. „Memoirs“ nennt man in den USA solche Erzählungen aus dem eigenen Leben. Die Autoren sind selbst Schriftsteller oder Journalisten, die ihre Erfahrungen mit Krebs, Aids, multipler Sklerose oder Krebs schreibend verarbeiten. Dabei geht es in den Memoirs nicht unbedingt um eine Lebensbilanz, sondern um Dramaturgie und gutes Erzählen. Das aber sind zwei Dinge, die sich in “Gute Nacht bis morgen“ nur schwer finden lassen.

Bei dem moderierten Gespräch zwischen der Autorin und ihrem engen Freund Jürgen Vogel, der sich auch im Verein Junge Helden engagiert, gab sich Vogel gewohnt kumpelhaft. Vor allem überzeugte er in Momenten, in denen er die TV-geschulten Betroffenheitsfragen des Moderators – „Du sagst, Claudia ist eine starke Persönlichkeit, was macht sie aus als Mensch?“ –freundlich abschmetterte: Er wolle derart intime Dinge lieber für sich behalten. Damit gab er der allzu im Geiste der „Charity“ geprägten Veranstaltung ein wenig Tiefgang zurück.