ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Gefechte bei Tag und bei Nacht
Die US-amerikanische Außenpolitik ist unter Präsident Obama von einer gewissen Zögerlichkeit gekennzeichnet. Im Falle der Arabellion blieb zuletzt entgegen den Ankündigungen eine Reaktion aus, auch wenn wie in Syrien ein Diktator sein ganzes Land in die humanitäre Katastrophe führt und zur Vernichtung der Opposition die „rote Linie“ permanent überschreitet. Massen können vernichtet werden, es bleibt eine Frage von Opportunität, Definition und Interessenlagen.
Der US-amerikanische Schriftsteller Don Winslow macht die moralische Wankelmütigkeit zum Ausgangspunkt seines Politthrillers „Vergeltung“ (Suhrkamp, 2014). Es geht um die behördliche Vertuschung eines terroristischen Anschlags in den USA selbst. Sein Plot ist denkbar simpel: Dschihadisten bringen in den Vereinigten Staaten eine Passagiermaschine zum Absturz. Alle Insassen sterben, darunter Frau und Kind eines früheren Elitesoldaten. Da die US-amerikanische Politik gerade keinen Anschlag gebrauchen kann, erklärt sie das Attentat zum Verkehrsunfall und manipuliert Indizien und Beweise.
Neue Suhrkamp-Militaria
Doch nicht mit Don Winslow! Nachdem sich der Schriftsteller dieses schöne Verschwörungsszenario in den USA gebastelt hat, bläst er die Gotteskrieger zu opulenten Bösewichtern auf, die einem James-Bond-Film entsprungen sein könnten. Er lässt sie von dem früheren Elitesoldaten gnadenlos jagen. Piuh, piuh. Seine Elitesöldner üben „Vergeltung“, spüren nach und nach die Hintermänner des Flugzeugattentats in Kenia und Indonesien auf und eliminieren sie dort. Nicht schön, muss aber getan werden.
„Wenn wir einen Tango umlegen, will ich, dass er liegen bleibt.“ Solche Sätze lässt Winslow seine Rambos sprechen. Sie kennzeichnen das Reflexionsniveau dieser Suhrkamp-Prosa. Esprit und Eleganz entstammen dem Militärwesen: „Der MK47 Striker ist im Prinzip ein Granatwerfer mit integriertem Feuerleitsystem. Bei nicht ganz 40 Pfund und einer Länge von 94 Zentimetern verschießt der MK47 40x53-mm-Munition bei einer Kadenz von 250 Schuss pro Minute. Das superleichte AN/PWG-1 Viedovisier sendet dreifach vergrößerte Bilder an einen ballistischen Computer mit Laserentfernungsmesser und Wärmebildsucher, eignet sich also sowohl für Gefechte bei Tag wie bei Nacht. Man kann damit M406-High-Explosive-Fragmentation Rounds abfeuern, die …“
Zu Winslows naturalistischem Waffengesülze gesellt sich ein patriotischer Darwinismus, der der humanitären Frage nach Wahrheit und Gerechtigkeit in den heutigen Konflikten in etwa so dienlich ist wie die surreale Behauptung eines Konsumenten von Kindernacktbildern im Deutschen Bundestag, ihm sei ausgerechnet vor der Hausdurchsuchung sein Dienstcomputer entwendet worden.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz
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