: „Viele Männer sind sehr einsam“
PÄDOPHILIE Gibt es „harmlose Bilder“ für Männer mit pädophilen Neigungen? Nein, sagt der Sexualforscher Peer Briken. Warum auch Kindersendungen gefährlich sein können und SPD-Chef Gabriel im Fall Edathy „wenig rational“ reagiert hat
■ Jahrgang 1969, ist Sexualwissenschaftler und Direktor des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dort ist er auch für das Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ verantwortlich, das Therapien für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, anbietet.
INTERVIEW HEIDE OESTREICH
taz: Herr Briken, wie viele der Menschen, die in Ihren Projekten „kein Täter werden“ wollen, benutzen Bilder von sexuellem Missbrauch?
Peer Briken: Das ist nicht ungewöhnlich. Viele haben ein breites Spektrum an pornografischem Material – und dazu können auch die Darstellungen von sexuellem Missbrauch gehören.
Wenn jemand wie Sebastian Edathy Material der Kategorie 2 bestellt, auf dem spärlich bekleidete Kinder, aber keine sexuellen Handlungen dargestellt sind – lässt das darauf schließen, dass er auch Kategorie-1-Bilder mit expliziten Missbrauchsdarstellungen hat?
Zu Herrn Edathy kann ich nichts sagen. Manche der Männer, die Missbrauchsdarstellungen der Kategorie 2 bestellen, haben auch sexuelle Fantasien, in denen es explizit um das Zwingen zu sexuellen Handlungen oder auch um Vergewaltigung geht. Viele Klienten, die zu uns kommen, haben solche Neigungen aber nicht. Sie sind von solchen Darstellungen abgestoßen und ekeln sich davor.
Gibt es Menschen mit pädophiler Neigung, die sich für illegale Bilder und Videos interessieren, die aber bewusst nur die legalen bestellen, weil sie sich damit nicht strafbar machen?
Ja, die gibt es. Viele kennen die Grenzen sehr genau.
Die Staatsanwaltschaft hat im Fall Edathy die Durchsuchung aber damit begründet, dass, wer erlaubtes Material bestellt, oft auch Missbrauchsbilder hat. Diese Einschätzung ist dann falsch, oder?
Es gibt beides: Männer, die Bilder aus beiden Kategorien haben, und Männer, die nur die Kategorie 2 oder 1 haben. Es gibt da keinen Automatismus. Ich kann nicht bewerten, woran die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht festmacht.
Ist die Bestellung von legalen Nacktbildern Anlass genug für eine Hausdurchsuchung?
Ich kann und möchte das juristisch nicht bewerten. Aber dass auf einen solchen Verdacht hin genauer nachgeschaut wird, das kennen wir in anderen Fällen auch.
Wäre es in Ihrer Behandlung ein Fortschritt, wenn jemand von Kategorie 1 zu Kategorie 2 wechselt?
Nein. Das Ziel der Therapie ist ja, mit dieser Neigung einen Umgang zu finden, der das Risiko, dass tatsächlich eine Missbrauchshandlung passiert oder weiter Missbrauchsabbildungen genutzt werden, möglichst klein hält. Auch wenn jemand sich auf legalem Weg immer wieder in eine Spirale der sexuellen Erregung durch kindliche Reize begibt, gibt es einen Verstärkungsmechanismus, den wir eigentlich mit den Klienten verändern wollen.
Andere Sexualtherapeuten sagen: Ziel ist, dass die sexuellen Handlungen Fantasie bleiben und nicht in die Tat umgesetzt werden. Dann hätten solche Bilder eine Ventilfunktion. Sehen Sie das auch so?
Das ist eine schwierige Aussage, weil Taten oft lange und intensive Fantasien vorausgehen. Es ist klar, dass man diese Fantasien dann auch therapeutisch bearbeiten muss.
■ Die Vorgeschichte: 2012 erfährt das BKA von kanadischen Ermittlern, dass SPD-Politiker Sebastian Edathy zu den Kunden der Firma Azov Films gehört, die Kinderpornografie vertreibt. Im Oktober 2013 informiert das BKA Innenminister Friedrich (CSU). Der warnt SPD-Chef Gabriel. Der informiert SPD-Fraktionschef Steinmeier und den parlamentarischen Geschäftsführer Oppermann. Edathys Anwalt Christian Noll fragt im November 2013 bei der Staatsanwaltschaft nach, ob gegen Edathy ermittelt wird.
■ Die Affäre: Anfang Januar 2014 lässt Edathy sich krankschreiben. Ende Januar entscheidet der Hannoveraner Oberstaatsanwalt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Am 7. Februar legt Edathy „aus gesundheitlichen Gründen“ sein Bundestagsmandat nieder. Am 10. Februar werden Wohnungen und Büros durchsucht. Der Fall wird öffentlich. (oes)
Also gibt es keine „harmlosen Bilder“ für Pädophile?
Es gibt Männer, die sich beispielsweise nur das Kinderprogramm im Fernsehen anschauen und sich dadurch sexuell erregen können. Auch mit ihnen würden wir versuchen zu schauen, warum ein solches Verhalten notwendig ist und welche Alternativen es gibt.
Was wären denn Alternativen?
Das hängt von der Stärke der Neigung und deren Dranghaftigkeit ab. Wenn diese sehr ausgeprägt ist, versuchen wir zunächst, sie mit medikamentöser Unterstützung zu dämpfen. Dann geht es um die Entwicklung von Alternativen: Wir versuchen, wenn der Wunsch der Klienten da ist, das Interesse an erwachsenen Partnern zu fördern. Und wir bestärken die Menschen auch darin, andere Möglichkeiten zu finden, wenn es um Spannungsabbau, um Abbau von Depressivität und Ängstlichkeit im Zusammenhang mit Sexualität geht.
Was wäre das? Sport?
Das kann Sport sein, es kann aber auch Hilfe sein, aus der Einsamkeit zu finden. Viele Männer, mit denen wir zu tun haben, sind sehr einsam. Es geht dann darum, soziale Kontakte aufzubauen, zu fördern und zu halten. In längerfristigen Prozessen geht es auch oft darum, ein Stück Erwachsenwerden nachzuholen. Viele Klienten tauchen in eine kindliche Welt ab, wenn sie im Alltag nicht gut zurechtkommen. Viele haben große Angst davor, was sie mit einem erwachsenen Sexualpartner erleben könnten. Ängste können etwa sein: „Ich habe ein zu kleines Genital.“ „Ich bin zu dick und unattraktiv.“ „Ich traue mich nicht.“
Wenn jemand kommt und sagt, ich habe gerade den Playboy entdeckt, sagen Sie dann „Herzlichen Glückwunsch“?
So einfach ist das natürlich nicht. Aber wir versuchen Bereiche, in denen der Klient etwas mit erwachsener Sexualität anfangen kann, zu unterstützen.
Ist Sebastian Edathy ein besonderer oder ein typischer Fall?
Es gibt durchaus Klienten, die in ihrem Beruf viel leisten, Personen des öffentlichen Lebens sind, oder welche, bei denen wir gar keine weiteren persönlichen Defizite neben dem sexuellen Problem finden.
■ Der Tipp: Es begann wohl mit einem Tipp an kanadische Ermittler, dass von Toronto aus die Firma Azov Films Kinderpornografie vertreibt. Ein verdeckter Ermittler wurde eingesetzt und in den Kundenkreis aufgenommen. Er gelang so an härteres Material. Im Mai 2011 gab es eine Hausdurchsuchung, bei der eine Kundendatei beschlagnahmt wurde.
■ Die Kunden: Im Sommer 2011 sichteten die Beamten alle Filme, so der Toronto Star. Dann versandten sie die Daten der Kunden, die nach ihren Erkenntnissen illegales Material bestellt hatten, an die Polizei der jeweiligen Länder. In Australien, Spanien, USA und Kanada wurden über 300 Menschen festgenommen und über 300 Kinder befreit.
■ Der Verzug: Warum in Deutschland viele Ermittlungen, speziell die zu Edathy, erst ab Herbst 2013 begannen, ist unbekannt. Es war zumindest unvorteilhaft: Denn im November 2013 ging die kanadische Polizei mit den Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Gewarnt war die Kundschaft aber schon vorher, weil in den anderen Ländern die Razzien anliefen. (rem)
Es wird überlegt, die Bilder der Kategorie 2 zu illegalisieren. Ist das der richtige Schritt?
Das könnte ich mir vorstellen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel möchte niemanden in seiner Partei haben, der sich mit Kinderbildern stimuliert.
Wenn das die Auffassung von Sigmar Gabriel sein sollte, so halte ich eine solche Aussage für reaktiv und möglicherweise wenig rational.
Pädophilie ist nicht heilbar, heißt es oft. Stimmt das?
Das weiß bisher niemand wissenschaftlich genau. Dazu müsste auch jemand zunächst definieren, was Heilung in diesem Kontext bedeutet. Meine Erfahrung ist, dass sexuelle Neigungen und Interessen sich im Lebenslauf und auch unter der Therapie verändern können.
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