: Sorge, Tanne, Elend
Zwei neue Filme aus der deutschen Provinz: „Emmas Glück“ von Sven Taddicken und „Die Könige der Nutzholzgewinnung“ von Matthias Keilich
VON DIETMAR KAMMERER
Kürzlich verriet Jürgen Vogel im Interview, nach jeder extremen Rolle, die er spielt, einen Ausgleich zu brauchen, um nicht völlig aus dem Ruder zu geraten. Seine schauspielerische Parforce-Tour als Serienvergewaltiger in Matthias Glasners „Der freie Wille“, der kommende Woche anläuft, war so ein Extrem. Sein Part in „Emmas Glück“, der heute startet, scheint ein geeigneter Ausruheplatz gewesen zu sein. Vogel spielt darin Max, einen todkranken Gebrauchtwagenhändler auf der Flucht vor seinem Teilhaber, der Polizei und der Angst vor dem Sterben. Erst schleudert das Leben ihn aus der Kurve, dann er mit Vollgas sich selbst und den Wagen. Gefunden und aufgepäppelt wird Max von der Bäuerin Emma (Jördis Triebel). Die ist jung, alleinstehend, lebt mit einem Dutzend Säuen auf einem Hof, der von der Pfändung bedroht ist, und gilt unter der Dorfbevölkerung nicht ganz zu Unrecht als skurriles Weibsbild. Erst bleibt Max gezwungenermaßen, dann freiwillig. Er sortiert ihre Vorräte von A wie Apfelmus bis Z wie Zucchini und rupft Hühnerfedern mit der Kneifzange aus. Sie beschützt ihn vor Verfolgern, sperrt den herumschnüffelnden Exteilhaber kurzerhand in den Stall und setzt ihren ruppigen Charme mit Erfolg beim verliebten Dorfpolizisten ein. Dass es kein Happy End geben kann, weiß der Zuschauer von Anfang an, nur die Protagonisten tun so, als wüssten sie es nicht.
Beide Hauptdarsteller reizen aus, was das dramaturgische Konzept ihnen zugesteht. Viel ist das nicht. Vogel ist wie immer ein Mann mit einem Geheimnis und sieht noch blasser aus als üblich. Triebels schrullige Schweinezüchterin kann ungebetene Gäste überzeugend mit der Schrotflinte vertreiben, den moribunden Max auf eigenen Armen über die Türschwelle stemmen und verfügt dennoch über jede Menge Liebenswürdigkeit. Die Bilder sind in herbstlich satte Farben getaucht, immer wieder erlaubt eine Kameratotale den Blick aufs Bauernhofidyll. In jeder Szene scharrt am Rand ein Huhn. Weder von der Deftigkeit noch von den märchenhaften Elementen der Romanvorlage von Claudia Scheiber ist bei der Umsetzung durch Sven Taddicken, der sich ganz auf die tragische Lovestory konzentriert, viel übrig geblieben. „Emmas Glück“ trägt allzu deutlich die Handschrift der routinierten Fernsehproduktion. Denkbare Ecken und Kanten wurden weichgespült. Wie beim schicksalhaften Autounfall: Zu Gute-Nacht-Musik schwebt vor dem Gesicht Jürgen Vogels eine computeranimierte Zahnbürste durchs Bild, bevor sich alles in einen glitzernden Scherbenregen auflöst. Größere Blessuren: keine.
Auch in „Die Könige der Nutzholzgewinnung“ von Matthias Keilich liegt das Glück in der Provinz. Allerdings präsentiert die sich zunächst wenig idyllisch. Der Schauplatz ist die Gemeinde Tanne im Harz, nahe der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Wer nach Tanne fährt, passiert unterwegs die Orte Sorge und Elend. Bäume gibt es in der Tat mehr als genug, die anderen beiden Erfahrungen ebenfalls. Was fehlt, sind Arbeitsplätze. Der Einzige, der hier noch nennenswerten Umsatz macht, ist der Kneipenwirt. Die von einem anderen Leben träumen, gehen in den Country-Klub. Krischan (Bjarne Ingmar Mädel), der nicht nur vom Weggehen träumen wollte, taucht nach Jahren so unerwartet wie unwillkommen wieder auf. Wie sich herausstellt, war seine Abreise damals nicht ganz freiwillig. Bei der Entscheidung geholfen haben eine geplatzte Geschäftsidee, eine Menge Schulden und Freunde, die dafür geradestehen mussten. Zur Rückkehr haben ihn wohl ähnliche Gründe bewogen. Doch trotz Startschwierigkeiten kann er zumindest seine beiden Exkompagnons für sein neues Vorhaben begeistern: den ersten internationalen Holzfällerwettbewerb, an dem ausschließlich Arbeitslose teilnehmen dürfen. Konkurriert wird in den Sparten Zapfensammeln, Baumstamm-Wetthacken und Präzisionssägen. Die Eintrittsgelder versprechen satten Gewinn, noch das Preisgeld wird, so zumindest der Plan, in der Familie bleiben, indem man einfach selbst den Titel holt.
Mit Optimismus und Starrköpfigkeit will Krischan alles auf einmal unternehmen: seine frühere Flamme zurückerobern, lernen, wie ein Vater zu handeln, sich vor den Intrigen des Oberforstmeisters in Acht nehmen und ein ganzes Dorf aus der Lethargie reißen. Nicht alles davon wird ihm gelingen, und wenn es am Ende so was wie ein Happy End gibt, dann deshalb, weil die Beteiligten lernen, es als solches zu akzeptieren. „Die Könige der Nutzholzgewinnung“ ist eine sympathische Komödie um den anstrengenden Kampf gegen den inneren Schweinehund, bis in die Nebenrollen wunderbar besetzt, authentisch noch in der Überzeichnung und mit einer simplen Botschaft: Arbeitsverlust macht aus Männern Memmen, erst mit der Motorsäge in der Hand finden sie wieder zu alter Form.
„Emmas Glück“. Regie: Sven Taddicken. Mit Jördis Triebel, Jürgen Vogel u. a., Deutschland 2006, 99 Min.„Die Könige der Nutzholzgewinnung“. Regie: Matthias Keilich. Mit Bjarne Ingmar Mädel, Peter Sodann u. a., Deutschland 2006, 94 Min. (Start am 24. August)