grass, waffen-ss etc.
: Meer an Heuchelei

Welch ein Meer an Heuchelei. Da werfen sich Journalisten, Schriftsteller vor allem in die Brust, weil sie endlich dem von ihnen seit Jahrzehnten um seine Begabung, seinen Erfolg und seine Integrität beneideten Günter Grass einen überbraten können. Unverschämt und dumm. Ich finde nicht, dass Günter Grass dazu verpflichtet war, dem Volk oder sonst wem mitzuteilen, dass er als Halbwüchsiger ein paar Monate in der SS war. Mit 16 oder 17 Jahren. Das heißt, dass er da schon, seitdem er 5 war, nichts anderes gehört hat als Nazi-Reklame. Auf der Straße, in der Schule, vielleicht auch zu Hause. Und als er lesen konnte, an jeder Straßenecke, in dem infamen Propagandablatt Der Stürmer.

Es ist eine Unverschämtheit, ihm das jetzt vorzuhalten. Einem Mann, der durch seine ganze Haltung, durch sein ganzes Leben, durch alles, was er äußert, nur zu achten ist. Ich wünschte, er hätte es, auch wenn es ihn dazu drängte, nicht publik gemacht. Denn es gibt Leute wie Joachim Fest, der seit vielen Jahren wunderbar davon lebt, dass er per Film und Buch und nochmal Film allen erst den begehrenswerten und dann den armen beklagenswerten Adolf Hitler nähergebracht hat. Ich las zum Beispiel in etlichen Berichten nach der großen Premiere von „Der Untergang“, dass prominente Gäste bitterlich über das erschütternde Ende von Hitler, Eva Braun, Goebbels und seinen Kindern weinten. Ja, wie ergreifend. Joachim Fest hatte die Schlagzeile „Ich würde nicht mal mehr einen Gebrauchtwagen von diesem Mann kaufen“. Muss er ja auch nicht, denn Grass ist kein Autohändler. Allerdings auch kein Hitler-Biograf.

Heute lese ich auch wieder in Bild auf die Frage „Muss man sich schämen, wenn man in der Waffen-SS war?“ Joachim Fests Antwort: „Nein, ich mache niemandem einen Vorwurf daraus.“ Das ist jetzt das Entsetzliche, dass von der grauenhaften Waffen-SS, der großen verbrecherischen Organisation, in unglaublicher Weise abgelenkt werden kann, weil man sich und anderen sagt, wenn ein so anständiger Mensch wie der Nobelpreisträger Günter Grass auch dabei war, kann es ja gar nicht so schlimm gewesen sein. Als ob ein durch ein ganzes Land verführtes und geblendetes halbes Kind, das niemanden umgebracht hat, als Persilschein herhalten könnte für die vielen, vielen erwachsenen Massenmörder.

Hellmuth Karasek sagte im Abendblatt, zumindest war das die Schlagzeile, „ein Moralapostel fällt vom Sockel“. Das ist es eben, das ist genau das, was es soll. Günter Grass soll entwertet werden, seine Lebensleistung und Lebenshaltung ausradiert. Grass selbst sagt, das Schuldgefühl hat mich als Schande belastet. Ich finde, dass er absolut keinen Grund hat, sich schuldig zu fühlen. Und habe die allergrößte Hochachtung vor ihm. PEGGY PARNASS