Ungeliebte Nähe

DRITTE LIGA Weil Holstein Kiel weit unten in der Tabelle steht, steigt der Druck auf Trainer Karsten Neitzel

Es gibt im Inneren des Kieler Holsteinstadions eine Wand. Durch eine Tür darin sind zwei Räume miteinander verbunden: Im kleinen Raum hält der Fußball-Drittligaklub Holstein Kiel nach den Spielen seine Pressekonferenz ab. Auf der anderen Seite, in der Gaststätte „Holsteiner“, feiern die Fans der „Störche“ deren Siege – oder ertränken die Enttäuschung in Schnaps und Bier. Nach Heimspielen sehen die Kieler Fans dort die Bundesligakonferenz an, im Fernsehen. Wenn nebenan die Pressekonferenz beginnt, wird auch sie gezeigt.

Dass solch gelebte Nähe ein Fluch sein kann, erfuhr Holstein-Trainer Karsten Neitzel leidvoll nach dem 0:2 gegen RB Leipzig am Samstag: Schon in dem Moment, als sein Leipziger Trainerkollege Andreas Zorniger seine Spielanalyse ins Mikrofon sprach, drangen aus dem „Holsteiner“ die ersten Rufe herüber. Bald hörte jeder im kleinen Raum die Sprechchöre aus der Kneipe: „Neitzel raus!“ Da ergriff sogar Zorniger Partei für seinen angeschlagenen Kollegen. „Jetzt ist also der Trainer schuld“, sagte der Gast aus Leipzig. „Es ist aber nicht so einfach, gegen uns Fußball zu spielen.“

„Riesige Enttäuschung“

Neitzel wiederum lobte in seinen Ausführungen die Leipziger als „total griffigen Gegner“, nannte das Ergebnis aber eine „riesige Enttäuschung“. Weiter sagte der 46-Jährige: „Wir müssen jetzt wieder aufstehen, uns wieder vorbereiten, um in Erfurt zu punkten. Und das werden wir auch tun.“ Holstein Kiel steht mit 28 Punkten derzeit auf Tabellenplatz 17, dem letzten Nichtabstiegsplatz.

Jenseits der Tür war nur der erste Teil der trotzigen Ankündigung zu hören, das mit dem Aufstehen. „Dann steh doch auf“, rief ein Holstein-Fan prompt – „und geh!“ Großes Gelächter und weitere „Neitzel raus!“-Rufe drangen bis in den Raum mit der Pressekonferenz. Es gab aber auch Fans im „Holsteiner“, die solche Unmutsbekundungen unpassend fanden.

Uneinige Anhänger

Schon eine Viertelstunde nach dem Ende der Partie, die RB Leipzig durch Tore von Daniel Frahn (12.) und Sebastian Heidinger (55.) gewann, hatte sich die Zerrissenheit im Fanlager offenbart: Als Sportdirektor Andreas Bornemann vom Spielfeldrand in Richtung Kabine ging, brüllten ihn zwei Zuschauer von der Haupttribüne aus an: „Schmeiß endlich den Neitzel raus!“, bekam er zu hören, ebenso eine wüste Kritik an der Startelf-Nominierung von Mittelfeldspieler Fabian Wetter: „Wie kann man nur so blöd sein?“

Bornemann blieb kurz stehen, das Antworten übernahm dann aber eine Zuschauerin, die hinter den beiden Pöblern stand: „Sagt mal, merkt ihr noch etwas? Das geht doch gar nicht, hier die Leute anzupöbeln. Dann geht doch nach Hause!“ Das Streitgespräch wurde fortgeführt, bald in gemäßigterer Lautstärke.

„Die beiden kenne ich schon, das ist immer so nach den Spielen“, sagte Andreas Bornemann später. Die Rufe aus dem „Holsteiner“ hatte er natürlich auch gehört. Sie seien „nicht schön, sie beeinflussen aber nicht unser Handeln“, sagte Bornemann. Kiels Trainer muss sich um seinen Job also keine Sorgen machen? „Nö“, sagte der Sportdirektor, „das muss er nicht.“ CHRISTIAN GÖRTZEN