: Darf es solche Spiele noch mal geben?Ja
Olympia als politisches Neutrum bewirkt erst einmal gar nichts. Die Herren des Internationalen Olympischen Komitees sind in den letzten Jahren in autokratische Staaten gezogen und haben sich durch den radikalen Ausschluss des Politischen gut arrangieren können mit den Chefs in Peking und Moskau.
Das IOC stellt sich immer dann als größte Werbeagentur der Welt zur Verfügung, wenn einer ökonomisch oder sonst wie aufstrebenden Macht der Sinn nach imperialem Getöse steht. Zwischendurch streuen die Spielemacher immer mal ein Event in einem westlich demokratisierten Land ein, damit ja keiner auf die Idee kommt, das IOC habe jedes Maß und jeden Verstand verloren.
Vom IOC können wir also nichts erwarten, die Herren der fünf Ringe halten sich nur maximal heraus. Aber im Gefolge der Spielemacher zieht ein Tross mit ein ins Gastgeberland, der zu beurteilen weiß, wie es um den Vasallenstatus der Herren Bach und Co. steht, und der auch weiß, dass Russland natürlich keine lupenreine Demokratie ist.
Die Inszenierung der Macht, der nicht nur megalomane architektonische Auftritt und die Gleichschaltung des Landes plus einem damit einhergehenden Putin-Personenkult ist eigentlich unolympisch. Das IOC könnte sagen: So wollen wir die Spiele nicht! Aber weil sich das IOC aus der Verantwortung stiehlt, müssen andere ran, die Journalisten. Sie richten eine Lupe auf die Zustände in Russland. Sie ermöglichen eine bessere Draufschau.
Es erfordert Reporter, die nicht nur am Eiskanal stehen oder am Biathlon-Schießstand, sie müssen das zwanghaft entpolitisierte Olympiagelände verlassen und hingehen zu Nadeschda Tolokonnikowa und Marija Aljochina, den Frauen von Pussy Riot, die ein anderes Russland wollen. Das ist die große Chance, die Olympia bietet. Ob das etwas in Russland verändert? Wohl kaum. Aber was wäre besser? Gar nicht über die Demokratieverbieger aus dem Kreml berichten und brav an der Loipe stehen? Den russischen Staatsmedien die Deutungshoheit überlassen?
Der deutsche Innenminister, Thomas de Maizière, meinte in Krasnaja Poljana, Olympia werde die Menschenrechtslage zumindest nicht verschlechtern. Mag sein. Besser wird sie wohl auch nicht. Aber die Welt hat wenigstens gesehen, wes’ Geistes Kind die Putins und Medwedjews sind. In einem Klima der Angst und Einschüchterung werden politische Aktionistinnen von Kosaken ausgepeitscht und hanebüchene Gründe erfunden, um Kritiker wegzusperren. Währenddessen lässt sich Wladimir Putin im Stil der „Aktuellen Kamera“ vom russischen Fernsehen inszenieren wie einst Erich Honecker.
Die Spiele haben die Chance geboten, das Russland-Bild zu schärfen, wenigstens das. Zu befürchten ist aber, dass sich nur die Leser im Westen umfänglich informiert haben, die Russen haben dazu leider immer seltener die Gelegenheit. Zuletzt wurde Ria Novosti auf Linie gebracht. Letztlich sind die Journalisten überfordert. Das IOC wäre mächtig genug, um ein paar Veränderungen anzuschieben. „Nicht olympiabezogen“ – so kommentierte es aber jeden politischen Protest. Was für eine Bankrotterklärung! MARKUS VÖLKER
Nein
Die Frauen der Pussy Riots in Ehren: Aber deren Tun, ob die Protagonistinnen nun von der Protestgruppe Abgefallene sind oder nicht, interessiert in Russland selbst politisch ungefähr so viel wie ein Granitbrösel irgendwo in den sibirischen Weiten. Nämlich gar nicht. Dadurch, dass die Frauen alle Aufmerksamkeit auf sich erzwangen, lenkten sie vom fundamental politischen Problem dieser jetzt beendeten Olympischen Winterspiele ab: die ohnehin fragwürdige Entscheidung, dieses Spektakel der russischen Nomenklatura zu schenken.
Das klassische Argument aus der Perspektive des Rechtsstaatlichen, des Freiheitlichen lautet ja stetig: Durch globale Ereignisse würden auch in politisch indiskutablen Ländern Kontakte zwischen demokratisch gesinnten Menschen und jenen, die in einem autokratischen, angsteinflößenden Regime leben müssen, entstehen – und die Verhältnisse aufgeweicht. Etwa so, wie sich Sozialdemokraten (Egon Bahr, Willy Brandt und so weiter) Anfang der sechziger Jahre das mit der Entspannungspolitik zur Überwindung des Eisernen Vorhangs vorstellten. Wandel durch Annäherung – man öffnet sich dem zu kritisierenden System, um es zivilgesellschaftlich, kulturell wie touristisch, zu unterspülen.
Inzwischen aber hat sich diese damals grundsätzlich zutreffende – und ja auch mit 1989 als erfolgreich erwiesene – Strategie verbraucht. Ökonomisch mit Rohstoffen gesegnete Länder wie Russland müssen sich westliche Kritik nicht gefallen lassen. Putin und die Seinen können, wir erlebten es gut zwei Wochen mit schneeüberzuckerten Bildern aus dem Kaukasus oberhalb des Schwarzen Meers, locker sagen: Sah doch alles schön aus. Und: Klappte doch alles!
Wer den westlichen Anspruch auf Demokratisches relativiert, mag das auch so sehen. Sie mögen sagen: Russland ist doch schön. Trotz Putin und aller postsowjetischen Erbschaften. Mag sein, dass das Russland des Jahres 2014 zivilisatorisch weiter ist als die Sowjetunion vor 34 Jahren, als in Moskau Olympische Sommerspiele stattfanden, dennoch wirkt es, als habe das Imperium die Idee des Potemkinschen Dorfes wiederbeleben wollen. Der Kreml konnte Propagandaspiele zelebrieren wie einst das chinesische System.
Das Internationale Olympische Komitee sollte in seine Satzung heben, dass Olympische Spiele nur an Länder mit rechtsstaatlicher Verfassung vergeben werden. Länder, die die Menschenrechte einhalten, Minderheitenschutz sowie ökologische Höchststandards garantieren. Ein feiner, ja notwendiger Ansporn wäre das, vor dem Ruhm, olympische Gastgeber gewesen zu sein, sich politisch ins Zeug legen zu müssen.
Sotschi war ein Fehler. Der Eurovision Song Contest 2009 in Moskau und 2012 in Baku waren es ebenso. Und die Eishockeyweltmeisterschaft, die skandalöserweise im Mai in Minsk im Todesstrafenregime Lukaschenkos ausgespielt wird, ist es erst recht.
Sportfunktionäre, die die politischen Umstände ihrer Spektakel ignorieren, machen sich vorsätzlich blind für das, was außerhalb ihres Gesichtskreises die Wahrheit ist. Despotie darf durch kein zuckriges Eventprestige gewinnen. JAN FEDDERSEN