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Archiv-Artikel

Wo ist die Kokosnuss?

Für die Affen gibt’s Beschäftigungsfutter: Hagenbecks Futtermeisterin Conny Lütge schüttet ab fünf Uhr morgens das Futter für Hagenbecks Tiere in Paletten und Tröge. Reis wird vorgekocht, Fische und Küken gehen extra

Wenn Eisbären reden könnten, würden sie „Wir wollen Ananas“! rufen. Wollen halt auch mal was Süßes anstelle des ewigen Fisch-Fleisch-Einerlei. Obwohl Ananas genau genommen natürlich nicht in arktischen Gefilden wächst. Aber „mit Essen aus der Heimat wird hier kein Tier beglückt“, sagt Futtermeisterin Conny Lütge, die sich ab fünf Uhr morgens an Paletten und Trögen in einem Gebäude am Nordeingang von Hagenbecks Tierpark schaffen macht. „Das Originalfutter heranzuschaffen wäre viel zu teuer. Und die Tiere stört die fremdartige Kost nicht.“

Abgesehen davon, dass man sie nicht fragen kann, wirkt das aktuelle Angebot in der Tat verlockend: Erstklassige Trauben, Äpfel, Bananen, Ananas und Pflaumen schleppt Conny Lütge an, Kopfsalat, Chinakohl, Meerrettich und Zwiebeln sind in rauen Mengen da und werden sorgsam auf die Paletten verteilt. „Hasenstadt“ steht auf einer, „Bison-Revier“ auf einer anderen. Und die Küken in den kleinen Kistchen sind für die Eulen und Raubtiere gedacht. „Sie brauchen die Federn für die Verdauung“, erklärt die junge Frau, die zuvor neun Jahre lang Tierpflegerin war. Eismeer-Tiere, Löwen und Affen hat sie betreut. Doch jetzt ist sie Mutter und schätzt die Arbeitszeiten der Futterstelle. Der Kontakt zu den Tieren allerdings – der fehlt ihr.

Ein bisschen wie in einer Großküche sieht es in den beiden Räumen mit den vielen Paletten aus. Eine Stahltür führt ins Kühlhaus. Riesige Rinderhälften hängen da. Das Fleisch wird dreimal in der Woche vorbereitet. Wobei die Raubtiere keineswegs jeden Tag gefüttert werden. „Einmal pro Woche ist Hungertag“, sagt die Futtermeisterin. „Und das ist noch wenig. In freier Wildbahn fressen Löwen manchmal zwei Wochen lang nichts. Denn nicht jeder fängt sich täglich seine Gazelle.“ Aber im Zoo könne man das natürlich nicht machen: Einfach einen Fleischbrocken in den Käfig werfen und erst wiederkommen, wenn alles verzehrt ist. „Wir brauchen hier schon Kontrolle. Und damit wir die Tiere jeden Tag mindestens einmal gesehen haben – sie liegen ja oft versteckt irgendwo im Gehege – füttern wir sie regelmäßig. Denn dafür kommen sie auf jeden Fall in das Innengehege.“

Ganz egal ist es den Tieren übrigens nicht, was sie fressen. „Die Raubtiere sind relativ indifferent. Aber die meisten anderen wissen schon, was sie mögen: Obst geht besser als Gemüse, aber eine ausgewogene Ernährung muss schon sein“, sagt Lütge. Die Mandrills bekommen ihr Gemüse deshalb morgens, wenn sie sehr hungrig sind. Später dann, am Nachmittag, gibt es das begehrte Obst.

Dass die Fütterung im Übrigen auch der Unterhaltung dient – man hatte es schon geahnt angesichts der Gleichförmigkeit des Zootier-Lebens. Und tatsächlich: „Beschäftigungsfutter“ steht auf einem Eimer. Er ist für die Affen gedacht; ungeschälte Erdnüsse und zerkleinerte Maiskörner finden sich darin. „Wenn wir das in den Käfig werfen, haben sie stundenlang was zu pulen“, sagt Lütge. Und die Eisbären? Bekommen Eisbomben – im Block eingefrorene Äpfel und Birnen, die sie in stundenlanger Arbeit knacken. Doch auch ein Nasenbär will animiert werden: Drei Stunden braucht er, um eine Ananas aus der Schale zu montieren; „manchmal werfen wir zwecks Beschäftigung auch ganze Kokosnüsse in den Käfig“, so Lütge.

Müssen wirklich alle Tiere beschäftigt werden? „Um diejenigen, die in großen Gruppen leben, braucht man sich nicht zu sorgen. Aber die Bären etwa muss man hin und wieder schon anregen, damit sie auf andere Gedanken kommen“, schmunzelt Lütge. „Mit Deos besprayen wir zum Beispiel manchmal Teile des Eisbär-Geheges. Dann sind sie eine ganze Weile mit Schnüffeln beschäftigt.“

Klingt alles ein bisschen dekadent, aber es bedeutet eben auch Luxus, das Zooleben, „die Tiere leben hier, was die Ernährung betrifft, wie im Fünf-Sterne-Hotel.“ Eier? „Würden die Orangs auch roh essen, aber ich koche sie lieber vor“, sagt Lütge. Reis? Wird ebenfalls gekocht – in einem mehrstöckigen Topf in der Ecke, in der bereits die Töpfe mit Mais und Möhren für morgen warten. Das Fleisch? Für die Leoparden bitte nicht so fett. Und eine heimliche Ananas mehr mischt sie ihren geliebten Mandrills gelegentlich auch unters Futter. Kleine Reminiszenz an jene Zeiten, als sie die noch selber betreute. PETRA SCHELLEN