: Es ist nicht nur der Wellness-Faktor
Der niedersächsische Kommunalwahlkampf, aus der Nähe betrachtet (IV): Schmalstieg geht, Weil dürfte kommen. Wenige in Hannover können sich vorstellen, dass die CDU zum ersten Mal seit dem Krieg das Stadtoberhaupt stellt
Für manchen in Hannover ist es, als ob die Queen abdankt. Nach 34 Jahren im Amt geht der „ewige“ Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) in Rente. Derzeit glaubt in der Landeshauptstadt eigentlich niemand, dass ihm nach der Kommunalwahl am 10. September zum ersten Mal seit dem Krieg ein CDU-Mann als Stadtoberhaupt folgen könnte.
„Die Umfragen bergen eine gute und eine schlechte Nachricht“, sagt Stephan Weil. „Die Gute ist, dass ich bei den Wählern, die sich bereits entschieden haben, die absolute Mehrheit habe“, sagt der derzeitige Stadtkämmerer von der SPD, der Schmalstieg beerben soll. „Die Schlechte ist, dass der Rest der Wähler entweder unentschieden ist oder keinen der Kandidaten kennt – das sind immerhin drei Viertel“. Die SPD-Strategie ist einfach: Die Sozialdemokraten hoffen, dass die 391.000 Wähler von WM und Sommerferien beschwingt ihre Kreuzchen am rechten Fleck platzieren. Angeblich fühlen sich 88 Prozent der Hannoveraner in ihrer Stadt wohl – da ist wenig Platz zum Punkten für CDU-Kandidat Dirk Toepffer.
Es ist nicht nur der Wellness-Faktor. „Mit der Forderung, das Maschseefest zu verkürzen, hat er fünf Altstadtwirte zu CDU-Wählern gemacht, aber 200.000 Leute gegen sich gebracht, die da gerne hingehen“, sagt ein hoher Funktionär der Landes-CDU.
„Ich würde mich ja gerne mit Herrn Toepffer über die Privatisierung öffentlichen Eigentums streiten, aber er äußert sich seit einem Jahr im O-Ton Weil“, sagt Weil, der gegen einen Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ist.
Mangels Streit setzen die Wahlkämpfer derzeit auf eine Materialschlacht, um zu mobilisieren. Die Stadt ist mit 12.000 Plakaten zugepflastert – wenigstens optisch ist die CDU Sieger. Auf seinen Plakaten guckt Weil etwas eichhörnchenhaft, Konkurrent Toepffer grient professioneller auf die Straßen, bisweilen begleitet vom landesweit beliebten Regierungschef Christian Wulff.
FDP-Spitzenmann Wilfried Engelke will dagegen im Rathaus „aufräumen“, die Grünen werben mit ihrer OB-Kandidatin Ingrid Wagemann und einer Türkin, die mal Schützenkönigin werden will. Ebenso hofft die Partei auf den vertrackten Wahlmodus: Auf fünf Stimmzetteln für OB, Regionspräsident, Stadtrat, Regionsparlament und Bezirksrat darf das Wahlvolk bis zu elf Stimmen abgeben. Wegen der gut gebildeten Klientel fördere das die Wahlchancen, kalkulieren die Grünen. Auf bis zu 14 Prozent wollen sie es bringen und sich so weiter unabdingbar machen. Immerhin koalieren sie mit einigen Unterbrechungen seit 20 Jahren im Rat mit der SPD.
Nun fürchten einige einen Schwenk der Stadt-SPD Richtung große Koalition. Stephan Weil ist vielen nicht geheuer: Nicht zuverlässig, zu steif. Das sieht der 47-jährige Jurist natürlich anders. Er sei für eine Fortführung der Zweckehe, betont Weil. Aber er weiß auch, dass er nicht ein Volkstribun wie Vorgänger „Onkel Herbert“ ist. „Aber“, so Weil, „so draufgängerisch sind die Hannoveraner auch nicht – das würde gar nicht zur Stadt passen.“ Kai Schöneberg