: Hoya hofft, Hannover zofft
Niedersachsens Liberale sind sauer auf die Flüchtlingspolitik des Koalitionspartners CDU. Die tiefen Gräben werden erneut am Fall einer von Abschiebung bedrohten Familie aus Vietnam deutlich
von KAI SCHÖNEBERG
Andreas Ruh hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben: „Vielleicht findet die Landesregierung jetzt einen Weg für die Familie, ohne das Gesicht zu verlieren“, sagt der Pastor aus Hoya, der in der kommenden Woche eine schwere Entscheidung zu fällen hat: Wahrscheinlich wird er im Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde in der Nähe von Nienburg dafür plädieren, der von der Abschiebung bedrohten vietnamesischen Familie Nguyen mit ihren drei Kindern Kirchenasyl zu gewähren. Sie sollen am 29. August ausgeflogen werden, obwohl der Familienvater seit 14 Jahren in Deutschland lebt (taz berichtete).
Die Nguyens gelten als bestens integriert, sprechen laut Ruh „super deutsch“ und sind nicht auf öffentliche Unterstützung angewiesen: Vater und Mutter arbeiten in einer Baumschule. Zuversicht schöpft Pastor Ruh auch aus einer Äußerung von FDP-Fraktionschef Philipp Rösler: Rösler, der selbst vietnamesische Wurzeln hat, hatte gefordert, die geplante Abschiebung der Nguyens auszusetzen. Es sei ein „Gebot der Menschlichkeit“, so lange zu warten, bis die Härtefallkommission in Niedersachsen am 12. September ihre Arbeit aufgenommen habe. Pastor Ruh findet das „absolut positiv“. Allerdings ist für ihn auch „eins klar: Wir lassen diese Leute nicht im Regen stehen.“
Rösler hatte mit seinem Votum gegen CDU-Innenminister Uwe Schünemann sticheln wollen. Nicht nur über diesen menschlich besonders tragischen Fall hat sich die schwarz-gelbe Koalition in Hannover in den vergangenen Monaten zerstritten. Nicht nur die Flüchtlingspolitik Schünemanns findet nur noch wenig Rückhalt des Koalitionspartners. Die Liberalen beklagen mangelnde Kommunikationsfähigkeit des Ministers, der sich am hessischen und bayrischen Kollegen vorbei als Hardliner der Union profilieren will.
Schünemann betont, die Abschiebung der Nguyens sei unausweichlich: Nach einem Abschiebebescheid könne sich die Härtefallkommission nicht mehr mit dem Fall befassen. Außerdem habe die FDP selbst im Jahr 2003 im Petitionsausschuss für eine Abschiebung der Familie gestimmt.
Auf die gezielte Spitze des Ministers legte Rösler gleich eine weitere Forderung nach. Selbst wenn juristisch für die Nguyens nichts mehr zu machen sei: Für die etwa 20.000 bis 25.000 Flüchtlinge in Niedersachsen, die seit langem hier leben, müsse ein Abschiebestopp her, bis die Innenminister auf ihrer Konferenz im Herbst eine Bleiberechtsregelung gefunden hätten. Für ein Moratorium für die Geduldeten hatte sich auch CDU-Landtagspräsident Jürgen Gansäuer ausgesprochen.
Schünemann sieht das anders: Eine großzügige Bleiberechtsregelung würde „einen stärkeren Zulauf von Asylbewerbern auslösen“. Die Abschiebungen bis zu einer endgültigen Lösung auszusetzen kommt für ihn nicht in Frage. Den Punktekatalog, den die FDP für Einwanderer vorgeschlagen hatte, nannte er eine „interessante Idee“, die jedoch „für die in Niedersachsen geduldeten Menschen keine Perspektive“ biete.
Gestern versuchten die Grünen, die Gräben zwischen den Koalitionspartnern zu vertiefen. Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) solle die Abschiebepolitik seines Innenministers stoppen, forderte Fraktionschef Stefan Wenzel. Die „christliche Grundhaltung“ der CDU komme „unter die Räder“, wenn „man diesen Innenminister weiterhin auf Familien loslasse“, die seit Jahren integriert seien. Auch im jüngst bekannt gewordenen Fall einer per Minister-Weisung veranlassten Familientrennung in Hildesheim vermisst Wenzel bei Schünemann „jede Sensibilität“.